Zorn der Meere
Anfang«, erwiderte Lucretia. »Später nicht mehr.«
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»Das passt«, erklärte Andries verdrossen. »Er erlaubt den Zutritt nur seinen Auserwählten, denn außer ihnen darf niemand sehen, wie er lebt. Er besitzt die große Truhe des Kommandeurs, seinen kostbaren Teppich, seine Kerzenleuchter, seine Becher -
überhaupt alles, was wertvoll ist. Es wurde für ihn aus der Batavia gestohlen.«
»Andries«, versuchte Lucretia den jungen Mann zu besänftigen, »er ist doch inzwischen unser Kommandeur.
Vielleicht ist das alles sein gutes Recht -«
»Er tut aber so, als handele es sich um sein Eigentum«, fiel Andries Lucretia ins Wort. »Es ist jedoch das Eigentum von Herrn Pelsaert und der Companie.«
»Hast du je mit jemand anders darüber gesprochen?«
»Nur mit Pfarrer Bastians. Er hat es Jeronimus vorgetragen.
Angeblich hat er daraufhin wie ein Wahnsinniger getobt.«
»Nun, womöglich will der Unterkaufmann die Gegenstände lediglich hüten.«
Andries lächelte bitter. »Ich kenne ihn besser, als Ihr denkt.«
Ein Gefühl des Unbehagens kroch Lucretia über den Rücken, doch noch ehe sie Andries weiter befragen konnte, hörten sie Schritte näher kommen.
Lucretia wandte sich um.
Jeronimus.
Andries erschrak und begann unmerklich zu zittern.
»Andries, solltest du nicht Deschamps bei der Arbeit helfen?«, fragte Jeronimus, indem er dem Jungen mit dem Finger drohte.
Andries machte wortlos kehrt und rannte davon.
Jeronimus lächelte Lucretia an. Sein Gemütszustand hatte sich offenbar gewandelt.
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»Diese jungen Leute«, bemerkte er nachsichtig. »Den lieben langen Tag wollen sie herumsitzen und plaudern. Doch Müßiggang ist aller Laster Anfang.« Er verneigte sich galant, bevor er sich umwandte und Andries folgte.
Elf Grad und dreißig Minuten südlicher Breite fünfundzwanzigster Tag des Juni im Jahre des Herrn, 1629
Unter dem zinkfarbenen Himmel und der brütenden Hitze wirkte das Meer schwer und träge wie Öl.
Jacobs war der Erste, der den umhertreibenden Seetang entdeckte. »Land in Sicht«, verkündete er zufrieden.
Die anderen fuhren hoch.
»Na, was sagst du jetzt?«, wandte Jacobs sich an Halfwaack.
»Vor acht Tagen haben wir die Küste des Südlands verlassen.
Jetzt ist es geschafft. Genau wie ich es gesagt habe.« Er schaute triumphierend in die Runde. »Ich habe es gewusst! Ich täusche mich nicht.«
Zwei Tage später sahen sie Java am Horizont auftauchen.
Zuerst war es ein Berg, den sie anfänglich für eine Wolke hielten, bis sie im Dunst seine grüne Spitze hervorschimmern sahen. Ihm vorgelagert befand sich eine Insel, die von einer schmalen Felsenkette geschützt wurde. Bald darauf konnten sie bereits die Hütten eines Dorfes ausmachen. Sie zogen es jedoch vor, weiterzusegeln, da es sich bei den Bewohnern um Untertanen des Sultans von Mataram handeln konnte, der mit der Companie in Fehde lag.
Nachts ankerten sie in sicherer Entfernung vor der Küste und schliefen abermals in ihrem Boot. Die Luft war feucht und warm, und das Meer breitete sich so still um sie herum aus, dass die eiskalten Stürme, die sie erlebt hatten, wie ein böser Traum wirkten.
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Einzig Francois und der Skipper waren wach. Unter einer schmalen Mondsichel saßen sie am Heck und schwiegen versonnen.
Jacobs starrte zum Himmel empor und beobachtete die Sterne.
Er lauschte dem sanften Wellenklatschen und hörte den Säugling greinen und wieder verstummen. Schließlich neigte er sich ein wenig zu Francois hinüber und fragte leise: »Was wird nun, wenn wir in Batavia sind?«
»Na, was wohl? Wir nehmen ein Schiff und segeln so bald wie möglich zurück.«
»Ich dachte mehr an eine andere Sache«, murmelte der Kapitän. »Ich spreche von dem, was zwischen uns ist.«
Francois lächelte vor sich hin. »Ich weiß nicht recht, wovon Ihr redet.«
»Was werdet Ihr dem Gouverneur erzählen?«, fragte Jacobs ungeduldig.
Francois ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Ich werde ihm erzählen, dass Ihr unser Leben gerettet und uns allen Widrigkeiten zum Trotz nach Java gesegelt habt.«
»Werdet Ihr mir das Auflaufen des Schiffes anlasten?«
»Das ist eine Angelegenheit, die Ihr dem Gouverneur persönlich erklären müsst. Was mich betrifft, so weiß ich nicht, wie das möglich war.«
»Was ist mit der Geschichte in der Tafelbucht?«
»Was für eine Geschichte? Ich fürchte, mein Gedächtnis lässt mich im Stich. Ich erinnere ich mich lediglich an die letzten Tage und daran, wie Ihr uns gerettet
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