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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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Michal auf das nächste Café zu. Die runden Tischchen in seiner Glasveranda waren spärlich besetzt. Sie nahmen in einer Ecke Platz, die teilweise von einem großen Oleander verdeckt war. Plötzlich erkannte Michal Racek, wodurch sich Kurt seit ihrem vorangegangenen Zusammentreffen so verändert hatte. In der Zwischenzeit hatte er sich einen dichten schwarzen Schnurrbart wachsen lassen, der seine ganze Oberlippe bedeckte.
    Eine vollbusige Kellnerin brachte ihnen zwei hohe Gläser mit einer transparenten grünen Flüssigkeit.
    »Bien merci, Mademoiselle.«
    Sie lächelte, und Kurt widmete ihr einen kurzen und beredten Blick, auf den sie kokett reagierte.
    »Na, Doktor?« wandte er sich dann wieder Michal zu. »Wollen wir auf Ihre glückliche Landung in der Neuen Welt anstoßen, oder haben Sie einen noch dringenderen Wunsch?«
    »Ich komme Ihnen wahrscheinlich lächerlich vor, nicht wahr? Ein Mensch, der nicht weiß, was er will.«
    »Sie kommen mir überhaupt nicht lächerlich vor«, Kurt wurde sofort ernst. »Mir wäre zweifellos auch miserabel zumute, wenn ich aus Europa fortmüßte, ohne daß mir jemand sagen könnte, wann ich wieder zurückkehren kann. Aber überlegen wir vernünftig: Der unbesetzte Teil Frankreichs wird sich nicht lange halten, das ist klar, und dann beginnt hier derselbe Irrsinn, vor dem Sie schon zu Hause ausgerückt sind.«
    Es war gewiß nicht so gemeint, aber Michal Racek hörte aus diesen Worten einen indirekten Vorwurf heraus.
    »Ich konnte es nicht aushalten«, verteidigte er sich, »konnte dort nicht atmen, und die Vorstellung, daß sie mich in ihre Armee jagen und zwingen könnten, am Ende ihre Soldaten zu kurieren ...«
    Er stockte, war sich mit einemmal bewußt, daß er doch mit einem Deutschen sprach.
    »Verzeihen Sie.«
    Kurt steckte sich gerade eine seiner ungezählten Zigaretten an, nahm genießerisch einen tiefen Zug, nippte an seinem Glas und erwiderte erst dann:
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, lieber Doktor. Der Unterschied beruht nur darin, daß Sie Deutsche nicht kurieren wollen, und das ist unter den gegebenen Umständen schließlich begreiflich, und daß meine Freunde und ich es als unsere Pflicht ansehen, unsere deutschen Landsleute von einer gefährlicheren Krankheit zu heilen als einer solchen, für die Ihre ärztliche Kunst ausreicht. So ist es. Ich habe, wie ich Ihnen schon sagte, übrigens lange in Prag gelebt. Es waren schöne Jahre, obwohl ich im Exil war. Aus dieser Zeit kenne ich auch Darinka und eine ganze Reihe Ihrer Mitbürger. Prachtvolle Menschen. Auf die stützen Sie sich, wenn ich Ihnen raten darf, dann wird vielleicht alles einfacher und leichter sein.«
    »Manchmal ist das auch eine Frage der Gelegenheit. Glauben Sie mir ...«
    »Ich glaube Ihnen«, unterbrach ihn Kurt und sah ihn ernst an. »Sie dürfen uns nicht verargen, daß wir vorsichtig sind. Vorsicht ist nicht Mißtrauen. Wir haben es mit einem schonungslosen Feind zu tun, und selbst wenn wir einen Freund kennenlernen, müssen wir behutsam vorgehen. Das sind ungeschriebene, aber unumstößliche Gesetze. – Aber verzeihen Sie, Sie wollten wohl noch etwas sagen.«
    »Ja.« Michal Racek hatte plötzlich den Wunsch, sich gerade diesem Menschen anzuvertrauen. Vielleicht war es seine Ruhe, vielleicht das sonderbare Gefühl, daß dieser Mann mit dem grauen Velourshut, der kühn gestreiften Krawatte und dem dichten schwarzen Schnurrbart eine Welt für sich vertrat, jene Männer und Frauen, die versuchten, Menschen von Krankheiten zu kurieren, für die die ärztliche Kunst nicht ausreicht.
    »Können Sie verstehen, Kurt, daß ich nach all den Schikanen und der ganzen Warterei jetzt am liebsten überhaupt nicht wegfahren möchte? Gestern habe ich das Darinka gesagt, und sie hat mich überredet, keine Dummheiten zumachen. Ich spreche nun zu Ihnen ganz offen: Natürlich möchte ich nicht von ihr wegfahren, obwohl – obwohl es nichts gibt, das mich dazu berechtigen würde. Aber das ist nicht alles. Bisher war ich gräßlich allein. Das ist eine Bitternis, die Sie kaum kennen. Und ich will mich ihr nicht mehr aussetzen. Weder hier noch in Amerika. Ein leeres Leben ist überhaupt kein Leben, das habe ich in den letzten Wochen begriffen. All dies klingt wahrscheinlich sehr verworren, aber vielleicht können Sie mich verstehen. Ich habe das Gefühl, als ob ich vor einer Tür stünde und weiß, daß sie sich eines Tages öffnen wird und daß ich dort dann Freunde finden kann. Und da soll ich jetzt

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