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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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sind doch keine Kinderaugen.” So hatte Huberts Mutter ihr es angesehen. Ihr Schmutz konnte nicht weggespült werden. So eine ließ man nicht in sein Badezimmer.
    “Hexenschuß”, hatte der Doktor gesagt, “wahrscheinlich haben Sie eine verkehrte Bewegung gemacht. Ein paar Tage Ruhe, und der Schaden ist behoben.”
    Es war nach dem Haarewaschen passiert. Gaby stand vor dem mannshohen Spiegel mit dem breiten handgeschnitzten Rahmen und hob die Hand, um ihre Haare auszubürsten, als ihr ein messerscharfer Schmerz durch den Rücken fuhr und sie sich nicht mehr rühren konnte. Seitlings war sie auf das Bett gesunken und hatte gewartet, bis Hubert irgendwann einmal nach ihr sehen würde. Er hatte dann den Arzt gerufen.
    Drei Tage lag sie jetzt schon so, beinahe bewegungsunfähig und lauschte nach den Geräuschen aus dem Haus, die wie durch Watte gedämpft zu ihr heraufdrangen. Heute abend war ein gemütliches Grillessen. Durch die offenstehenden Fenster stieg der Duft frisch gebratenen Fleisches verlockend in ihre Nase. Hin und wieder hörte sie jemand lachen. Sie glaubte Cornelias Stimme zu erkennen, Huberts Schwester, die im neunten Monat schwanger war. “Mein armes Mädchen”, hatte Huberts Mutter gesagt, “das letztemal hat sie auch so leiden müssen. Sie ist so sensibel, meine kleine Conny, den Belastungen einer Geburt eigentlich nicht gewachsen.” Hubert hatte seiner Mutter die Hand getätschelt. “Ein guter Stall hat auch kräftige Stuten. Mach dir man keine Sorgen.” Gaby hatte dabei gesessen und sich wie in einem luftleeren Raum gefühlt. Sie bekam doch auch ein Kind. Warum sagte nie jemand etwas darüber? Die letzten Tage hatte sie ziehende Schmerzen im Unterleib. “Das ist normal”, hatte Hubert sie beruhigt. “Du weißt doch, daß ein Kind sich nach dem siebten Monat senkt?”
    Sie sah zur Zimmerdecke, die mit reichem Stuck verziert war. Genau über ihr entdeckte sie ein Spinnennetz. Eine fingernageldicke Spinne seilte sich langsam auf sie herab. Fasziniert beobachtete Gaby, wie aus dem Spinnenleib ein silbrigglänzender Faden wuchs, mit dem die Spinne weiter und weiter auf sie herabkam. Sie erinnerte sich an eine Geschichte, in der Riesenspinnen ihre Opfer mit ihren Netzen erstickten. Diese Spinne war zu klein, um sie zu ersticken. Sie würde nur über ihr Gesicht krabbeln und ein Netz vor ihrem Mund weben. Dann würde niemand sie schreien hören. Und sie würde dann doch ersticken. An all den ungeschrienen Schreien und den ungesprochenen Worten würde sie ersticken.
    Als Hubert ihr später eine Karbonade und Kartoffelsalat brachte, war ihr Gesicht naß. Mit einer Handbewegung hatte er die Spinne vor ihrem Gesicht weggefegt. “Warum rufst du mich nicht?” sagte er unwillig. “Wenn du Schmerzen hast, mußt du rufen.” — “Ich habe keine Schmerzen”, log sie.
    Es war herrlich im Wasser. Ihre Schwerkraft schien aufgehoben, wenn sie mit kräftigen Zügen das Wasser durchteilte, sich leicht wie einer der silbrigglänzenden Fische fühlte, die unter ihr erschreckt wegglitten. Cornelia hatte vor den Toren Heidelbergs ein Grundstück mit privatem Badestrand an einem Baggersee. “Da sind wir ganz für uns”, hatte sie Hubert eingeladen. “Vielleicht habt ihr Lust zu kommen?” Die Kinder waren begeistert, und Gaby hatte dankbar von der Einladung Gebrauch gemacht. Sie konnte sich wieder bewegen, und ihr Körper verlangte nach frischer Luft und Bewegung. “Ob Schwimmen das rechte ist?” Hubert hatte bedenklich geschaut. “Schließlich sind nur noch sechs Wochen bis zu deiner Entbindung.” Gaby genoß seine Besorgnis, aber setzte bittend ihren Willen durch. “Im Wasser fühle ich mich in meinem Element. Komm, sag nicht nein.” — “Gut”, Hubert gab sich geschlagen. “Aber nur, wenn ich neben dir schwimme und wir nicht zu weit ins Tiefe gehen.” Das begrenzte zwar das Gefühl, frei und ungebunden zu schwimmen, aber sie begriff, daß aus seinen Worten nur seine Besorgnis sprach. Und es war herrlich, daß er um sie besorgt war.
    Als Kind war fast nie jemand um sie besorgt gewesen. Mutti jedenfalls nicht. Obwohl sie es gesagt hatte. Als sie kaputtgeschlagen und mißbraucht an Pappis Arm in die Wohnung strauchelte, hatte sie sie angeschrien: “Wo hast du dich herumgetrieben? Kannst du dich nicht entschuldigen? Sorgen haben wir uns gemacht, Sorgen. Und wie du aussiehst! So kannst du doch nicht ins Bett!” Pappi hatte Mutti beruhigt. Irgendein Nervenfieber hätte sie. Und morgen würde der

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