Zwischen Olivenhainen (German Edition)
spürte sie die Enttäuschung ganz deutlich. Sie breitete sich in ihrem Magen aus, schien bis in ihren Hals zu klettern. Er hatte sich nicht getraut. Er hatte Mario geschickt. Und Mario war gekommen.
„Ich … sag nur noch Anne Bescheid“, murmelte Leslie leise und wandte sich von Mario ab, um Anne, die wachsam und stocksteif auf dem Sofa saß, einen Blick zuzuwerfen. Ein Blick reichte aus, und Anne verstand. Sie nickte ihr zu, doch ihre Freundin verzog keine Miene, auch nicht, als Leslie auf sie zukam und sie umarmte. Dann ging sie wieder zu Mario und ließ Anne zurück. Alleine in Antonios Wohnung, obwohl sie genau wusste, dass es das Falscheste war, das sie in dieser Situation nur tun konnte. Anne einfach so alleine zu lassen. Sie ließ ihre Freundin im Stich, nur um Raffaello wiederzusehen. Der sich noch nicht einmal traute, sie persönlich abzuholen. Ich bin eine schlechte Freundin, dachte Leslie, als sie sich noch einmal zu Anne umdrehte, die schlechteste überhaupt.
Während der gesamten Fahrt in Marios Auto sprach sie keinen Ton, nur Mario versuchte ab und zu, sie ein wenig abzulenken, doch bald gab er es auf und starrte nur noch wortlos geradeaus auf die Straße, bis die von Zypressen gesäumte, fast verwildert wirkende Einfahrt zu Raffaellos Haus vor ihnen auftauchte. Mario hielt den Wagen neben Raffaellos drei weiteren Autos an, dann stieg er aus und nach einigem Zögern und unruhigen Blicken auf das prunkvolle Natursteinhaus, öffnete auch Leslie die Wagentür.
Es war heiß im Garten, die Luft schien bleischwer, obwohl es noch früh am Morgen war – und es war schrecklich still. Keine Insekten zirpten, das Plätschern des Pools konnte man von hieraus auch nicht hören. Und dann fiel ihr auf, dass Raffaellos schwarzer Maserati nicht neben seinen anderen Autos parkte. Er war nicht da. Wortlos folgte sie Mario ins Haus, und als sie sich kurz umdrehte, bemerkte sie die beiden dunkel gekleideten Männer, die nun langsam in der Einfahrt auf und ab spazierten. Sie trugen sichtbar Waffen.
„Sicherheitspersonal“, erklärte Mario, der ihren Blick bemerkt hatte. „Ich konnte ihn endlich dazu überreden, nach dem, was passiert ist. Er ist noch immer nicht begeistert davon, aber …“
„Er ist nicht da“, stellte Leslie trocken fest. Marios Blick flackerte zu ihr herüber.
„Wer?“
„Raffaello“, sagte sie, „er ist nicht da, hab’ ich recht?“ Da senkte Mario den Blick und seufzte.
„Nein“, gab er zu. „Er hat noch einiges zu erledigen. Im Haus seiner Eltern. Aber er wollte dich nicht erneut enttäuschen, deswegen hat er mich gebeten, dich –“
„Oh, ich bin nicht enttäuscht“, entgegnete Leslie kühl, „nicht im Geringsten.“ Allmählich kehrte die Wut wieder zurück – und die Verzweiflung.
„Er hat mir ja nur versprochen mich zu holen, aber ich nehme an, nachdem er Antonio ausgeschaltet hat, muss er seine Versprechen nicht halten. Ich bin ja nur seine Freundin, mit der er machen kann, was er will“, fügte sie trotzig hinzu, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Haustür, die noch immer sperrangelweit offen stand. Darauf erwiderte Mario nichts. Er stand bloß da, sah sie beinahe schon hilflos an, dann trat er einen Schritt auf sie zu und hob die Hände, als wolle er sie besänftigen.
„Leslie“, sagte er leise, „du bist ihm niemals egal, verstehst du? Du bist alles für ihn, das …“
„Ach, und woher weißt du das?“, entgegnete sie patzig.
„Er hat es mir gesagt!“ Sie wollte gar nicht wissen, ob es eine Lüge war, um sie zu beruhigen. Vielleicht.
„Hör zu, Leslie, er hat wirklich alle Hände voll zu tun, seit er aus dem Krankenhaus raus ist und –“
„Warum durfte ich ihn nie besuchen?“, fragte sie. Einen Moment lang sah Mario sie überrascht an.
„Weil er dir die Möglichkeit geben wollte, dich von all dem zurückzuziehen und erst einmal alles zu verkraften. Er wollte dich schonen, verstehst du, Leslie? Dir die Chance geben, über alles erst einmal nachzudenken.“
„Hm“, machte sie trocken, „oder wollte er nur nicht, dass ich von der Sache mit Antonio Wind kriege?“ Mario blickte ihr fest in die Augen.
„Leslie, er wird mit dir nicht darüber sprechen“, sagte er bestimmt. „Und ich auch nicht. Tut mir leid, aber –“
„Aber so läuft das, hm?“ Er nickte.
„Verstehe …“, murmelte Leslie leise, aber sie verstand rein gar nichts. Wollte es nicht verstehen. „Wann kommt er wieder?“, fragte
Weitere Kostenlose Bücher