Zyklus der Erdenkinder 02 - Ayla und das Tal der Pferde
lege dich hin, Ayla«
Dankbarkeit erfüllte sie. Er würde über dem Fleisch wachen! Sie war gar nicht auf den Gedanken gekommen, ihn darum zu bitten; sie war es einfach nicht gewohnt, jemanden zu haben, der ihr helfen konnte. Sie stürzte in die Höhle und zitterte vor Erleichterung am ganzen Leibe. Sie ließ sich auf ihr Lager fallen. Sie wollte Jondalar sagen, wie dankbar sie ihm war, und spürte, daß ihr wieder die Tränen kamen, und da wußte sie, daß jeder Versuch vergeblich wäre. Sie konnte ja nicht reden!
Jondalar kam im Laufe der Nacht etliche Male in die Höhle herein und ging wieder hinaus. Manchmal blieb er stehen und betrachtete die schlafende Frau. Besorgt runzelte er die Stirn. Sie war unruhig, schlug mit den Armen um sich und murmelte im Traum Unverständliches.
Ayla ging durch Nebel und rief um Hilfe. Eine große, dunstverhangene Frau, deren Gesicht nur undeutlich zu erkennen war, hielt die Arme ausgebreitet. »Ich habe versprochen, daß ich vorsichtig bin, Mutter, aber wo bist du gewesen?« murmelte Ayla. »Warum bist du nicht gekommen, als ich dich rief? Ich habe gerufen und gerufen, aber du bist nicht gekommen. Wo bist du gewesen? Mutter? Mutter! Geh nicht fort! Bleib bei mir, Mutter, warte auf mich. Laß mich nicht allein!«
Das Bild der großen Frau löste sich auf, und der Nebel verflog. An ihrer Stelle stand eine andere Frau, klein und untersetzt. Ihre kräftigen muskulösen Beine waren leicht nach außen gebogen, doch ging sie aufrecht und gerade. Sie hatte eine große Adlernase mit kräftigem Nasenbein; der vorspringende Mund hatte so gut wie kein Kinn. Die fliehende Stirn war nur niedrig, der Kopf jedoch groß, und der Nacken kurz und dick. Mächtige Brauenwülste beschatteten zwei große, kluge braune Augen, die sie voller Sorge liebevoll ansahen.
Sie winkte. »Iza!« rief Ayla. »Iza, hilf mir! Bitte, hilf mir!«Doch Iza sah sie nur fragend an. »Hörst du mich denn nicht, Iza? Warum verstehst du mich nicht?«
»Niemand kann dich verstehen, wenn du nicht sprichst, wie es sich gehört«, ließ eine andere Stimme sich vernehmen. Sie sah einen Mann, der sich mit Hilfe eines Stabes vorwärtsbewegte. Er war alt und lahm. Der eine Arm war ihm am Ellbogen abgenommen. Seine linke Gesichtshälfte war schrecklich vernarbt, und das linke Auge fehlte. Das rechte Auge verriet Kraft, Weisheit und Mitleid. »Du mußt lernen zu sprechen, Ayla«, sagte Creb mit seiner einhändigen Gebärdensprache. Dabei konnte sie ihn hören. Er sprach mit Jondalars Stimme.
»Wie soll ich sprechen? Ich kann mich nicht erinnern. Hilf mir, Creb!«
»Dein Totem ist der Höhlenlöwe, Ayla«, sagte der alte Mogur.
Rötlich aufblitzend sprang die Raubkatze den Auerochsen an, rang die riesige, vor Schrecken schreiende rotbraune Kuh zu Boden. Ayla rang nach Luft, und der Säbelzahntiger riß das bluttropfende Maul mit den riesigen Reißzähnen auf und fauchte. Er kam auf sie zu, und seine Zähne wurden immer länger und schärfer. Sie hatte in einer winzigen Höhle Schutz gesucht und drängte sich an den festen Felsen im Rücken. Ein Höhlenlöwe brüllte.
»Nein! Nein!« rief sie.
Eine Riesentatze mit ausgefahrenen Krallen fuhr auf sie zu und riß ihr vier parallel zueinander verlaufende Kratzwunden auf den Oberschenkel.
»Nein! Nein!« rief sie. »Ich kann nicht! Ich kann nicht!« Der Nebel um sie herum wallte. »Ich kann mich nicht erinnern.«
Die große Frau breitete die Arme aus. »Ich werde dir helfen …«
Für einen Moment verschwand der Nebel, und Ayla erblickte ein Gesicht, ähnlich dem ihren. Schmerz und Übelkeit bemächtigten sich ihrer, und ein säuerlicher Geruch nach Feuchtigkeit und Moder entströmte einem Spalt im Boden.
»Mutter! Mutterrr!«
»Ayla! Ayla! Was hast du denn?« Jondalar schüttelte sie. Er war draußen auf dem Sims gewesen, als er sie in einer fremden Sprache hatte schreien hören und schneller hineingehumpelt war, als er es für möglich gehalten hatte.
Sie saß aufrecht da, und er nahm sie in die Arme. »Ach, Jondalar! Das war mein Traum, mein Alptraum«, schluchzte sie.
»Ist ja schon gut, Ayla. Jetzt ist ja alles wieder gut.«
»Es war ein Erdbeben. Das war es. Und sie ist in dem Erdbeben umgekommen.«
»Wer ist bei einem Erdbeben umgekommen?«
»Meine Mutter. Und später auch Creb. Ach, Jondalar, ich hasse Erdbeben!« Sie erschauerte in seinen Armen.
Jondalar schüttelte sie an beiden Schultern und hielt sie von sich, um sie ansehen zu können. »Erzähl mir von deinem Traum,
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