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dark canopy

Titel: dark canopy
Autoren: Jennifer Benkau
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intro
    Ich hatte immer behauptet, der erste Percent, der in meinen Wurfradius tritt, würde ihn nicht lebend verlassen.
    Aber es kam alles ganz anders.
    Der Griff des Messers schmiegte sich in meine Handfläche, als wäre die Waffe für mich gemacht. Meine Schwester Penny hatte das Holz mit Baumwollstreifen umwickelt, die meinen Schweiß aufsaugen sollten. Meine Hände schwitzten immer; ein ernst zu nehmendes Handicap, wenn man nur mit einem Messer richtig umgehen kann und ansonsten über keine nennenswerten Stärken verfügt. Unter dem von Salzflecken überzogenen Stoff war mein Name eingeritzt. Dumm, das wusste ich selbst. Aber etwas Kostbares wie eine Waffe rief Neider auf den Plan und die Buchstaben im Holz konnten mich als Eigentümerin ausweisen. Oder mich verraten. Waffen waren ebenso begehrt wie verboten.
    Zwischen den verknoteten Zweigen des Dornenbusches hindurch beobachtete ich, wie er näher kam. Er war furchterregend. Und er sah aus, wie alle Percents aussahen: einen halben Kopf größer als ein durchschnittlicher Mann, schlank, aber muskulös. Makellose Gesichtszüge wie aus Holz geschnitzt, man konnte den einen kaum vom anderen unterscheiden. An seinem kurzen Zopf erkannte ich, dass er ein Varlet war, also noch nicht vollständig ausgebildet. Je höher ihr Rang, desto länger durften sie ihr Haar tragen. Dieser hier war jung.
    Für uns waren sie alle gleich: ein gutes Ziel für unsere Waffen.
    Der Varlet trat einen weiteren Schritt vor, hob einen dicht begrünten Zweig an und lugte darunter, als suchte er nach Beeren. Natürlich tat er nichts dergleichen. Er wollte mich täuschen. Ich wusste, dass er meine Anwesenheit roch. Sie nahmen Gerüche über ihre Haut auf. Daher trugen sie auch bei Kälte nur ärmellose Hemden, die außerdem die Muskulatur betonten, was uns ihre körperliche Überlegenheit demonstrieren sollte.
    In der Düsternis, die Dark Canopy über das Land gelegt hatte, sah er besser als ich, trotzdem entdeckte er mich nicht. Ich kauerte in einer Mulde unter den bräunlichen Blättern des Busches und meine dunkle Kleidung und konsequente Unbeweglichkeit tarnten mich. Er kam so nah, dass ich das leichte Beben seiner Haut bemerkte, das sein Wittern verriet. Ganz sicher wusste er, dass ich da war. Aber ob er auch ahnte, wie nah?
    Ich hielt die Luft an und nahm den Messergriff in die linke Hand, wischte mir Daumen und Zeigefinger der rechten an der Hose ab.
    Zwei Meter trennten uns. Ich traf jedes noch so magere Karnickel auf zehn Meter. Und dieses Karnickel war einen Meter neunzig groß, hatte hellbraune, überaus verletzliche Haut und anthrazitfarbene Augen mit schlitzförmigen Pupillen. Schlangenaugen, die in meine Richtung sahen, als meine Finger die Messerklinge umfassten und ich die Waffe zum Wurf über die Schulter hob. Für einen Moment stand er wie erstarrt. Und ich ebenso. Keine Bewegung, kein Atmen, kein Hautbeben.
    Wirf!, befahl ich mir. Nur ein Karnickel, ein Percent. Einer von Tausenden. Der Feind.
    Am Rande meines Blickfelds nahm ich wahr, dass seine Hände leer waren. An seinem Gürtel steckte keine Waffe, nur ein Communicator. Er blinkte nicht, war nicht auf Empfang.
    Später redete ich mir manchmal ein, dass ich deshalb gezögert hatte. Weil ich Lunte roch. Denn warum ging ein junger Percent schon allein und unbewaffnet in die Wildnis?
    Tatsächlich aber warf ich nicht, weil ich gelähmt war, in ebenjenem Moment, als er meinen Blick aus seinen ausdruckslosen Augen erwiderte. Dann schloss er die Lider, hob das Kinn und ich erkannte, dass es die Wahrheit war, was man über sie sagte. Er kannte keine Angst und ging aufrecht in den Tod.
    Natürlich tat er das. Er war nur einer von Tausenden, kein Individuum. Er würde ersetzt werden, sein Sterben hatte keine Bedeutung. Für niemanden. Weder für die Triade, ihre Präsidenten noch für die Städter oder uns Rebellen würde sein Tod etwas ändern. Niemand würde um ihn trauern, ihm selbst war sein Leben egal.
    Der Messergriff schlug gegen mein Ohr, so sehr zitterte meine Hand. Mir war es nicht egal.
    Unter meinen Knien brachen kleine Zweige, als ich rückwärtskroch. Laub knisterte, es klang wie Feuer und fühlte sich ebenso gefährlich an. Ich hatte schon ein paar Meter zwischen uns gebracht, als er die Augen öffnete. Ich sprang auf, machte schnellere Schritte nach hinten, geriet ins Straucheln, konnte einen Sturz aber gerade noch verhindern. Er starrte mir nach. Jeden Moment würde er lossprinten. Mein erster Fehler würde mein
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