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EINS
Will man den Beginn der Katastrophenserie im Kölner Institut für Rechtsmedizin mit einem Datum benennen, wäre das wohl der
zwölfte Juli. Das weiß ich so genau, weil der zwölfte Juli mein Geburtstag ist. Oder müsste ich sagen: mein Geburtstag war?
Keine Ahnung. Ich hänge immer noch der Tradition an, Geburtstage zu feiern, obwohl inzwischen auch mein Todestag eine Gelegenheit
für eine geile Party wäre. Bei anderen Toten ist das ja auch so. Das Goethe-Schiller-Bach-Jubiläum hat häufig gar nichts mit
ihrer Geburt, sondern mit ihrem Tod zu tun. Pervers, oder? Da feiert man den finalen Atemzug der kulturellen Elite. Ich dagegen
finde, von uns Künstlern sollte man ausschließlich die Geburtstage feiern. Habe ich von »uns Künstlern« gesprochen? Genau,
ich gehöre ja jetzt auch dazu. Zu den Schriftstellern. Aber davon später mehr.
Das Frühjahr brachte, noch vor meinem Geburtstag, ein paar kleine Vorabkatastrophen – zum Eingewöhnen. Da war zunächst mal
die Sache mit dem Chef des Instituts für Rechtsmedizin. Eines Morgens meldete er sich mit staubgrauem Gesicht bei seiner Sekretärin,
Frau Blaustein, ab und verkündete, er wolle den Rest des Tages freinehmen, es gehe ihm nicht gut. Zu Hause versetzte sein
Anblickseine Frau allerdings in derartige Sorge, dass sie sofort den befreundeten Hausarzt alarmierte. Erster Befund: ein Schwächeanfall.
Zwei Tage später war die Rede von einer Grippe, und nach einer Woche hieß die Diagnose Herzinfarkt. Das war Ende Mai und alle
dachten, die letzten Vorbereitungen für den Umzug sowie dessen Durchführung würden nun ohne leitende Hand vonstattengehen
müssen, aber dann kam die zweite Katastrophe: Nur zwei Wochen nach dem Ausfall des Chefs wurde die gesamte Belegschaft zur
Vorstellung des neuen Institutsleiters zusammengerufen.
Pünktlich um neun Uhr schimmelten alle Kollegen im Besprechungszimmer herum. Martin, Jochen, Katrin und vier weitere Ärzte
hatten Plätze am Konferenztisch ergattert, die später eingetroffenen Ärzte sowie die Toxikologen, Biologen, Chemiker, Laborratten,
Assistenten, Sekretärinnen, Verwaltungsmitarbeiter und der Pförtner standen am rückwärtigen Ende des Raums zusammen und unterhielten
sich leise. Die Preisfrage lautete: Wer ist der Neue? So viel vorweg: Selbst mit Telefon- und Publikumsjoker hätte keiner
die Kohle abgegriffen, denn der Typ war den rechtsdrehenden Medizinern bis dahin völlig unbekannt.
Und dann kam er: eins achtzig groß, Mitte vierzig, Golfplatzbräune, Statur, Anzug und Arroganzfaktor wie ein Model, Slipper
mit Troddelchen vornedran, goldene Uhr am Handgelenk und ein Siegelring am kleinen Finger. Genau der Typ Netzhautpeitsche,
der von Herrenschneider- oder Luxusuhren-Werbepostern herunterschleimt, von dem man aber nie gedacht hätte, dass es ihn wirklich
gibt. Mit einer geschmeidigen Bewegung knöpfte er sein Jackett auf, nahm den Platz am Kopfende des Konferenztisches ein, zupfte
die Manschetten des Hemdes unter denJackettärmeln hervor (er trug Manschetten mit Manschettenknöpfen, der Angeber!) und legte die Hände gefaltet vor sich auf
den Tisch. Mit triumphierendem Gesichtsausdruck blickte er fast herausfordernd in die Runde.
»Meine Damen und Herren, lassen Sie es mich so sagen: Es war eine glückliche Fügung, dass ich gerade zur Verfügung stand,
denn Herr Professor Doktor Schweitzer wird so schnell nicht als Institutsleiter zurückkehren. Wenn er überhaupt zurückkehren
wird.«
Die Kollegen starrten sich entsetzt an.
»Ich darf mich zunächst vorstellen: Philip G. Forch, achtundvierzig Jahre alt, Diplom-Kaufmann, Master of Business Administration, Master of Public Administration, Master
of Economics. Köln, St. Gallen, Harvard. Mein Forschungs- und Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Produktivitätssteigerung und
Kosteneffizienz des öffentlichen Dienstes, hier besonders im medizinischen Sektor. Ich führte gerade eine entsprechende Studie
für den operativen Betrieb der Universitätsklinik durch, als sich abzeichnete, dass die Institutsleitung Ihrer Einrichtung
vorerst vakant bleiben würde. Man übertrug mir diese Aufgabe mit der Zielsetzung, einige Optimierungen im Bereich der Kosteneffizienz
vorzunehmen –
and here I am .«
Er hatte den ganzen Text ohne Punkt und Komma heruntergeopert und bei den letzten Worten die Hände mit den Handflächen leicht
nach oben erhoben. Als wartete er auf Applaus. Es kam aber keiner. In der
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