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Lobgesang auf Leibowitz

Lobgesang auf Leibowitz

Titel: Lobgesang auf Leibowitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter M. jr. Miller
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    Bruder Francis Gerard von Utah hätte die so segensreichen Urkunden wohl nie entdeckt, wäre nicht der Pilger mit gegürteten Lenden gewesen, der in der Fastenzeit des jungen Novizen in der Wüste auftauchte.
    Bruder Francis hatte wirklich noch nie einen Pilger mit gegürteten Lenden gesehen. Doch daß dieser auf Treu und Glauben echt sei, davon war er überzeugt, sobald er sich vom Schrecken erholt hatte, der ihm das Blut in den Adern hatte gefrieren lassen, als der Pilger, eingehüllt in die flimmernden Hitzeschleier, wie ein tänzelndes, schwarzes Jota am fernen Horizont erschienen war. Mit winzigem Haupt, aber ohne Beine kam das Jota aus dem Spiegelglanz über der geborstenen Landstraße hervor. Mehr sich windend als gehend kam es in Sicht und veranlaßte Bruder Francis, das Kreuz seines Rosenkranzes zu ergreifen und ein oder zwei Ave zu murmeln. Das Jota ließ an eine winzige Erscheinung denken, ausgebrütet von den bösen Geistern der Hitze, die das Land mittags marterten, wenn jegliches Geschöpf, das sich in der Wüste bewegen konnte, bewegungslos in seinem Bau lag (die Geier ausgenommen und einige klösterliche Einsiedler wie Francis) oder sich unter einem Felsen vor der Gewalt der Sonne schützte. Nur etwas Ungeheures, ein außernatürliches Wesen, oder jemand mit verwirrtem Verstand würde mit Absicht mittags den Weg hierher nehmen. Bruder Francis fügte ein hastiges Gebet an Sankt Raul den Zyklopier hinzu, den Schutzheiligen der Mißgeburten, um vor den unglücklichen Schützlingen des Heiligen bewahrt zu werden. (Denn wer wußte damals nicht, daß es auf der Erde jener Tage Ungeheuer gab? Daß allem, was lebendig geboren war, durch Gesetz der Kirche und das Naturgesetz gestattet wurde zu leben, und ihm von denen, die es gezeugt hatten, nach Möglichkeit Unterstützung bis zur körperlichen Reife gewährt werden sollte. Das Gesetz wurde nicht immer befolgt, aber doch häufig genug, um eine zerstreut lebende Menge erwachsener Ungeheuer zu erhalten, die oft die entlegensten Wüsteneien für ihr Wanderleben wählten. Nachts streiften sie dort um die Feuer der Präriereisenden.) Sich windend fand nun das Jota endlich den Weg aus den aufsteigenden Hitzeschleiern in die klare Luft, wo es offenkundig zu einem fernen Pilger wurde. Mit einem leisen Amen ließ Bruder Francis das Kreuz los.
    Ein spindeldürrer alter Kerl war der Pilger, mit Stab, geflochtenem Hut, struppigem Bart und einem Wasserschlauch, der über die Schulter geworfen war. Er kaute an etwas, und für eine Geistererscheinung spie er mit zu deutlichem Behagen aus. Auch schien er zu gebrechlich und lahm, um mit Erfolg der Menschenfresserei oder dem Straßenraub frönen zu können. Trotzdem schlich Francis lautlos aus dem Sichtfeld des Pilgers und kauerte sich hinter einem Schutthaufen nieder, von wo aus er, ohne gesehen zu werden, beobachten konnte. In der Wüste waren die seltenen Begegnungen von Fremden Anlaß zu gegenseitigem Mißtrauen und auf beiden Seiten von Vorsichtsmaßnahmen geprägt, die ein Ereignis einleiteten, das sich entweder als herzerfrischend oder feindselig erweisen konnte.
    Öfter als dreimal im Jahr bereiste selten irgendein Laie oder Fremdling die alte Straße, die an der Abtei vorbeiführte. Trotz der Oase, die das Bestehen dieser Abtei ermöglichte und das Kloster zur natürlichen Raststätte für Wanderer gemacht hätte, wäre die Straße nicht eine Straße aus dem Nirgendwo gewesen, die ins Nirgendwohin führte, vom Standpunkt damaliger Reisebräuche aus gesehen. Zu früheren Zeiten war diese Straße vielleicht ein Abschnitt der kürzesten Strecke zwischen dem Großen Salzsee und Old El Paso gewesen. Südlich der Abtei kreuzte sie einen ähnlichen Streifen aus geborstenem Stein, der sich von Ost nach West erstreckte. Nicht der Mensch hatte sie vor kurzem erst zerstört; die Zeit hatte die Kreuzung zerbröckeln lassen.
    Der Pilger kam bis auf Rufweite heran, doch der Novize blieb hinter seinem Schutthügel. Die Lenden des Pilgers waren tatsächlich mit einem Stück schmutziger, grober Leinwand gegürtet, die außer Hut und Sandalen sein einziges Kleidungsstück war. Verbissen stapfte er daher, in gleichmäßigem Hinken, wobei er seinen verkrüppelten Fuß mit dem schweren Stab unterstützte. Er hatte den pendelnden Gang eines Mannes, der schon einen weiten Weg hinter sich, aber noch eine lange Strecke vor sich hat. Doch kaum hatte er das Gelände der alten Ruinen betreten, hielt er seinen Schritt an, um sich spähend

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