Wolkenfern (German Edition)
Inhalt, Autor
Nach einem Verkehrsunfall erwacht Dominika aus dem Koma, umsorgt von ihrer Mutter und Grażynka Rozpuch, einer alten Familienfreundin, die ihr den Platz in der Spezialklinik bei München verschafft hat. Statt nach Polen zurückzukehren, bricht Dominika, von Fernweh getrieben, ins Ungewisse auf, lebt als Fotografin unter Emigranten in New York und London, bis sie eines Tages den Ort findet, an dem sie bleiben will.
Hineingewoben in diese weibliche Odyssee ist die Geschichte Grażynkas, die vor dem Krieg als Findelkind von einem Frauenpaar, den »Teetanten«, aufgezogen wird. Als die SS im Städtchen die polnische Bevölkerung deportiert, gelingt es den Teetanten, das Kind in die Obhut einer Nonne zu geben. Aus dem KZ zurückgekehrt, sehen sie, wie ihre Nachbarn sich um die Besitztümer der verschwundenen jüdischen Familien streiten. Und von Grażynka keine Spur.
Zeiten und Erzählebenen kunstvoll verknüpfend, rollt Joanna Bator ein großes Panorama aus, das sich über Kontinente und ein ganzes Jahrhundert erstreckt. Wolkenfern ist ein Roman über Fremdheit und Heimatsuche. Vor allem aber handelt er von den vielgestaltigen Beziehungen zwischen Frauen − atemberaubend kühn, in einer sinnlichen, mitreißenden Sprache.
Joanna Bator, 1968 geboren, studierte in Wrocław Kulturwissenschaft und Philosophie, publizierte in wichtigen polnischen Zeitungen und Zeitschriften und forschte mehrere Jahre in Japan. Mit ihrem preisgekrönten Roman Sandberg (dt. 2011) wurde sie auch international bekannt. 2011 erschien eine erweiterte Ausgabe ihrer Reportagen Japoński wachlarz (Der japanische Fächer), 2012 ihr jüngster Roman Ciemno, prawie noc (Dunkel, fast Nacht). Heute ist Joanna Bator eine der erfolgreichsten und angesehensten Autorinnen Polens.
Esther Kinsky, die sich in den letzten Jahren auch als Autorin einen Namen gemacht hat, arbeitet seit 1988 als literarische Übersetzerin aus dem Englischen, Russischen und Polnischen (u.a. Miron Białoszweski, Hanna Krall, Zygmunt Haupt, Olga Tokarczuk, Magdalena Tulli). Zuletzt erschien Fremdsprechen. Gedanken zum Übersetzen und ihr Gedichtband Naturschutzgebiet , beide 2013.
Impressum
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel Chmurdalia im Verlag W.A.B., Warschau.
Die Übersetzerin dankt dem Deutschen Übersetzerfonds für die großzügige Unterstützung ihrer Arbeit. Abweichungen der vorliegenden Übersetzung von der Originalausgabe wurden mit der Autorin abgestimmt.
© ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2013
Erste Auflage 2013
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2013
© Wydawnictwo W.A.B. 2010
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner
Umschlagabbildung: © Ewa Kuryluk, Schlafwandlerin, 1977, Akrylfarbe auf Leinen, 150 x 120 cm
Satz: Memminger MedienCentrum AG
eISBN 978-3-518-73461-2
www.suhrkamp.de
Joanna Bator
Wolkenfern
Roman
Aus dem Polnischen
von Esther Kinsky
Suhrkamp Verlag
Wolkenfern
Etwas Silbriges tut sich in der Wolken Ferne
Bolesław Leśmian, Glück
Joasia, man kann doch nicht alles glauben,
was die Leute reden.
Ja, Mama, das weiß ich, aber man kann dasselbe
doch auch einfach weiter erzählen.
Illustrierter Polenkurier, Kraków, 20. Dezember 1942
Eine Geschichte muss einen Anfang haben …
Vor meinem Fenster stand die Zigeunerin, blutüberströmt war sie, singt Jadzia Chmura ihrer Tochter vor. Die Mutter holt aus ihrer Stimme, was sie kann, lockt mit Sirenengesang und wirbelt im Zimmer umher wie ein Aufziehspielzeug. Die Tochter ist reglos und still, so wie sie eingeschlafen ist, so schläft sie weiter. Wach auf, Dornröschen! Dominika hört Jadzias Worte nicht, nur leere Klänge, die herabtaumeln wie langsam im Wasser treibende Fetzen. Das Schlimmste ist, dass man in ihrem Traum nichts zählen kann. Sie fängt bei eins an, doch schon die zwei entschlüpft ihr und verschwimmt, wird verdrängt von weißen Schlieren, Schwärmen, Rudeln, Wolken. Manchmal steigt Dominika ein Geruch in die Nase, dann klammert sie sich daran wie an einen Ariadnefaden; der Wurzelgeruch von Kolonialwarenläden, die
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