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01 - Botschaft aus Stein

01 - Botschaft aus Stein

Titel: 01 - Botschaft aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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zurücklag, dachte Tom kaum noch zurück. Wie er erfahren hatte, war der Hagere vom eigenen Bruder quasi in die Heimat verschleppt worden, um hier eine Entziehungskur über sich ergehen zu lassen. Nachdem sie die Linienmaschine nach Hiva Oa verpasst hatten, veranlassten die einsetzenden Entzugserscheinungen den Bruder, die Beechcraft zu chartern, in der dann auch Tom und die Wilsons noch Platz gefunden hatten.
    Mit kraftvollen Machetenhieben bahnte sich Tom Ericson einen Weg durch das Dickicht junger Tahitikastanien. Er hielt nur kurz inne, als in der Nähe Monarch-Vögel aufstoben und sich zu einem großen Schwarm sammelten.
    Gnadenlos brannte die Sonne vom Himmel herab.
    Normal in diesen Breiten waren im Spätsommer um die sechsundzwanzig Grad Celsius. Es war jedoch sehr viel heißer, außerdem drückend wie vor einem aufziehenden Gewitter.
    Ericson wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er schaute zurück, das enge Tal entlang. Tiefblau lag der Pazifik im Sonnenglast, am Horizont schimmerten weiße Segel. Die Nachbarinsel Tahuata im Süden war schon vor einiger Zeit seinem Blick entschwunden.
    Tom erwartete, in Kürze den nächsten Stein-Tiki zu finden. Aber keine knapp zweieinhalb Meter große Statue wie Tiki Takai'i, der Schutzgeist des Puamau-Tals im Osten der Insel, sondern kaum mehr als fünfzig Zentimeter messend.
    Selbst wenn die Figur aufrecht stand, würde sie im Unterholz nur schwer aufzuspüren zu sein. Tom versuchte es dennoch. Immer hatte er sich auf sein Gespür verlassen können, ob im tiefsten Dschungel Amazoniens oder in der arabischen Felswüste. Hier, im Garten der Marquesas, bereitete ihm seine Intuition plötzlich Probleme. Vielleicht war die kleine Statue längst nicht mehr da, wo sie sein sollte.
    Hart schnitt die Machete durch das tropische Grün.
    Über Satellit eine Positionsbestimmung vorzunehmen und den Verlauf einer gedachten Geraden quer durchs Gelände zu bestimmen, das brachte sogar das archäologische Erstsemester in Yale zuwege. Aber den richtigen Riecher zu beweisen und ohne aufwendige technische Hilfsmittel fündig zu werden…
    Mit den Augen folgte Tom der gedachten Linie hügelaufwärts, taxierte jeden Meter im dichten Bewuchs… Jäh biss er sich auf die Unterlippe. Keine zwanzig Schritte vor ihm schien der Untergrund nicht ganz so nährstoffreich zu sein. Einige der großen Farne schimmerten einen Hauch blasser als alle anderen in ihrer Nähe.
    Tom arbeitete sich darauf zu.
    Unter seinen Sohlen knirschte plötzlich Geröll. Faustgroße Steinbrocken. Sie waren möglicherweise als schmales Fundament für einen Tiki aufgeschichtet gewesen und später durch Erosion weggebrochen.
    Minuten später fand Tom die nächste Statue. Die kleine Steinfigur des einst mächtigen Tiu-Stammes lag schon halb im Boden versunken und war völlig von Pflanzen überwuchert. Er legte sie weitgehend frei.
    Auch sie war nachträglich mit Hammer und Meißel bearbeitet worden. Ericson schabte den Flechtenbewuchs und die Moose ab.
    Da waren sie wieder, die beiden eingeschlagenen Linien. Er fuhr sie mit der Fingerspitze nach. Wer die Hintergründe nicht kannte, würde in diesem Zeichen kaum einen Buchstaben des lateinischen Alphabets erkennen, ein stilisiertes »P«. Im Original hatte Tom dieses Signet erst vor drei Wochen im Louvre gesehen. Aus Paris stammte auch der Auftrag, der ihn zu den Marquesa-Inseln nach Französisch-Polynesien geführt hatte.
    »Du kannst dich nicht mehr lange vor mir verstecken, Paul…«, murmelte er, während er abzuschätzen versuchte, wie die Figur ursprünglich gestanden hatte. Aus ihrer Lage und den weggerutschten Fundamentsteinen zu schließen, war ihr Blick ziemlich genau nach Norden gegangen.
    Ein Schatten huschte über den Hang.
    Ericson schaute auf. Wolkenschleier hatten sich gebildet, eine merkwürdige Stimmung hing plötzlich über der Insel. Die Luft war beklemmend schwer geworden: Mit einer Hand fuhr sich der Archäologe unter den Hemdenkragen. Kalter Schweiß stand ihm im Nacken.
    In der Ferne verschmolz das Meer bereits mit dem Horizont. Der vor wenigen Minuten noch kräftig blaue Pazifik wirkte mit einem Mal grau. Gischt tanzte auf den Wellen.
    Ein starker Wind kam auf. Aus Richtung der Bucht von Ta'aoa hallten Möwenschreie heran. Dort, wo der halb versunkene Vulkan eine natürliche Bucht bildete, ankerten Segelboote und sündhaft teure Jachten.
    So schnell, wie manche Unwetter aufkamen, zogen sie auch wieder weiter. Aber selbst wenn nur ein Wolkenbruch

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