030 - Die zweite Realität
Smythe - dann drohte der Welt, die in einer Zeitschleife gefangen war, ein schreckliches Armageddon durch die andere Realität. Matts Verstand war nicht mehr fähig, eine klare Entscheidung zu fällen.
Unentwegt zuckte seine Schusshand hin und her. Augenblicke wurden zu Ewigkeiten, während er auf der Lichtung stand und das Blut in seinem Kopf rau- schen hörte. Er wusste nur, dass die nächsten Sekunden über sein Schicksal entscheiden würden. Er musste das Richtige tun - und hatte dabei nur einen Kompass, nach dem er sich orientieren konnte: seine Gefühle, seine Instinkte, die der monatelange Überlebenskampf geschult hatte. Unwillkürlich musste er an Aruula denken. Mit ihrer telepathischen Begabung war sie ihm oft eine große Hilfe gewesen – wie sehr hätte er sie jetzt gebraucht! Was hätte er darum gegeben, hinter Mikes Züge blicken zu können, zu wissen, was hinter Smythes hoher Stirn vor sich ging… »Aruula«, murmelte er leise ihren Na- men. »Verdammt, hilf mir! Was soll ich nur tun…?« Dann, plötzlich, war ihm, als würde eine Stimme zu ihm sprechen - eine Stimme, die aus weiter Ferne kam. In einem jähen Entschluss fuhr Matt herum und entsicherte die Waffe, zielte auf Mike. Der geheimnisvolle Mann, der angeblich Science-Fiction- Romane schrieb und lektorierte, sagte nichts, machte auch keine Anstalten zu fliehen. Unbewegt stand er da und blickte Matt einfach nur an. »Gut so, Commander!«, tönte Smythe. »Töten Sie ihn! Er ist der Feind!« Urplötzlich wirbelte Matt herum, seine Schusshand flog hinauf in den nachtschwarzen Himmel - und gab mehrmals hintereinander Feuer. Das erste Geschoss zerstörte den Suchscheinwerfer des Hubschraubers. Das zweite und dritte Projektil schlugen in die Turbine der Maschine ein. Im nächsten Augenblick gab es einen dumpfen Knall, und eine Fahne von dunklem Rauch quoll aus dem heulenden Antrieb. Der Motor spuckte, der stete Schlag der Rotoren geriet ins Stottern -und der Hubschrauber driftete seitlich ab. »Was haben Sie getan, Sie Narr…?«, hörte Matt Smythe entsetzt brüllen - einen Herzschlag später sackte der Heli- kopter ab, rasierte die obersten Baumwipfel. Die beiden anderen Maschinen, die die Flanken gesichert hatten, stiegen pfeilschnell in die Höhe und brachten sich in Sicherheit. Deren Insassen hatten keine Augen mehr für die beiden Flüchtigen.
***
»Los, weg hier!«, rief Matt Mike zu - und die beiden begannen zu laufen. Sie hörten ein schreckliches Bersten und Krachen hinter sich, als der Helikopter mit wummernden Rotoren in den Wald säbelte und zwischen den eng stehenden Bäumen niederging. Sie kümmerten sich nicht darum und blickten nicht zurück, rannten immer tiefer in den Wald, der das Licht des Mondes und der Sterne zu schlucken schien.
»Da entlang«, sagte Mike nach einer Weile, und sie änderten ihre Laufrichtung, gelangten auf einen schmalen Pfad. Matt wunderte sich schon nicht mehr darüber, dass sein Begleiter ganz offenbar in der Dunkelheit sehen konnte und den Weg kannte. Er hatte sich für eine Seite entschieden - nun würde er mit seiner Entscheidung leben müssen, egal was die Konsequenzen sein mochten. Er hatte auf die Stimme in seinem Inneren gehört. Es war seine Verantwortung… Unvermittelt erreichten sie eine weitere Lichtung, auf der eine einsame Blockhütte stand - ein Holzfällerhaus, das im Sommer Wanderern als Herberge diente. Die Tür stand offen und die beiden traten ein. Mike entzündete die Gaslampe, die auf dem grob gezimmerten Tisch stand, der den einzigen Einrichtungsgegenstand bildete. Im fahlen Schein der Gaslampe standen sich die beiden Männer gegenüber. Matt atmete schwer, während Mike die Flucht durch den nächtlichen Wald kaum angestrengt zu haben schien. Die beiden musterten sich; jeder schien dem anderen auf den Grund seiner Seele blicken zu wollen. Erfolglos. »Wir sind Ihnen entkommen«, stellte Matt schließlich fest. »Zumindest vorerst«, erwiderte Mike nur. Matt nickte, legte die Beretta vor sich auf den Tisch. »Schön«, meinte er.
»Und jetzt sagen Sie mir, Mike - habe ich mich für die richtige Seite entschieden?« Der andere zeigte keine Regung; sein Gesicht war eine starre Maske. »Was ist die richtige Seite?«, fragte er zurück. »Hatte Smythe Recht? Sind Sie ein Spion der anderen Seite? Oder verliere ich nur allmählich den Verstand? Was zum Henker ist da eben passiert?«
»Wollen Sie die Wahrheit wissen, Matthew?«, fragte Mike. »Keine Rätsel mehr und keine Anspielungen?
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