04 - Winnetou IV
wenigstens einen Anhalt geben. So aber mußte ich mich darauf beschränken, anstrengende Arbeit für Körper und Geist anzuraten, treue Pflichterfüllung, die mit heiterer, aber ja nicht niedriger Zerstreuung abzuwechseln hat, und vor allen Dingen fortwährende Übung und Weiterstählung der Charakter- und Willenskräfte, auf die es hier in diesem Fall am meisten anzukommen hat.“
„Haben Sie den Stand dieser unglücklichen Familie erfahren?“
„Ja. Das war je eine der Hauptfragen, die ich vorzulegen hatte. Der verschollene Vater war Westmann, Squatter, Trapper, Goldsucher und sonst alles derartige gewesen und hat von Zeit zu Zeit das, was er dabei erübrigte, heimgebracht. Das sind oft ganz ansehnliche Summen gewesen. Er hat die Manie gehabt, Millionär werden zu wollen. Das wurde zwar nicht erreicht, aber reich, ziemlich reich ist die Familie doch geworden. Die fünf Brüder vereinigten sich zu einem Großgeschäft in Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen –“
„Sie hatten also wohl viel mit den großen Schlächtereien zu tun?“ unterbrach ich ihn.
„Allerdings“.
„Das konnte bei dieser Veranlagung nur schädlich sein, sehr schädlich!“
„Unbedingt! Massentötung von Schlachtvieh! Warmer Blutdunst! Immerwährender Fleisch- oder gar Kadavergeruch! Hieraus folgende Verhärtung des Mitgefühles! Förmliche Auffütterung und Anmästung jenes innerlichen Dämons! Ich habe das dem Amerikaner ganz offen gesagt und ihn gewarnt. Da teilte er mir mit, daß er das gar wohl gefühlt habe und darum für die beiden Brüder der Ratgeber und Helfer gewesen sei, das Geschäft zu verkaufen. Das sei im vorigen Jahr geschehen, doch ohne daß sich hierauf eine Veränderung oder gar Verringerung des Leidens eingestellt habe. – Doch, da unterhalte ich Sie noch am späten Abend mit Dingen, die Ihnen und mir nur die Nachtruhe verderben können. Ich bitte um Verzeihung und bin so pfiffig, mich, um nicht von Ihnen fortgewiesen zu werden, jetzt selbst hinauszuwerfen. Schlafen Sie wohl!“
Er brach so kurz ab und entfernte sich so schnell, wie es sonst seine Art gar nicht war. Genau ebenso verhielt es sich überhaupt mit seinem heutigen Kommen. Es war, als habe er uns so ganz außerhalb der gewohnten Zeit nur deshalb aufgesucht, um uns auf diesen Amerikaner aufmerksam zu machen. Das Herzle hatte dasselbe Gefühl wie ich.
„Er ist mir heut gar nicht wie ein besuchender Freund, sondern wie ein Bote vorgekommen“, sagte sie. „Sollte es mit diesem Yankee irgendeine Bewandtnis haben, die auch uns angeht? So darf ich freilich nur dich fragen, nicht aber andere, die es für selbstverständlich halten würden, mich auszulachen!“
Ich gab ihr recht. Aber siehe da: Am nächsten Vormittag, zur Besuchszeit, so um elf Uhr, saß ich bei der Arbeit. Da hörte ich die Hausglocke. Es wurde jemand eingelassen. Ich hatte gesagt, daß ich heute absolut für niemand zu sprechen sei. Dennoch kam nach einiger Zeit das Herzle zu mir herauf, legte eine Visitenkarte vor mich hin und sagte:
„Verzeih! Ich kann nicht anders; ich muß dich doch unterbrechen! Es ist gar zu sonderbar – du wirst dich wundern.“
Ich warf einen Blick auf die Karte. ‚Hariman F. Enters‘ stand darauf, nur dieser Name, weiter nichts. Ich sah das Herzle erwartungsvoll an.
„Ja, es ist wirklich erstaunlich“, nickte sie. „Er hat das taubeneigroße Nugget an der Uhrkette.“
„Wirklich? – Wirklich?“
„Ja! Und die ganz auffallend traurigen Augen sind auch da!“
„Und was will er?“
„Mit dir reden.“
„Ich habe keine Zeit. Hast du ihm das gesagt? Er mag wiederkommen!“
„Er muß noch heute fort, sonst versäumt er das Schiff. Er sagt, er gehe nicht fort, ohne mit dir gesprochen zu haben. Er bleibe sitzen, bis du kommst. Du sollst ihm sagen, was die Zeit kostet, die du dadurch versäumst; er werde sofort bezahlen.“
„Das ist amerikanischer Unsinn! Hat er dir gesagt, was er ist?“
„Verlagsbuchhändler. Er scheint kein Wort Deutsch sprechen zu können. Er will dir den ‚Winnetou‘ abkaufen.“
„Hast du ihm hierauf vielleicht schon Bescheid gegeben?“
„Ich teilte ihm mit, daß wir schon ähnliche Offerten von drüben bekommen haben und nächstens mit dem Lloyd hinübergehen werden, um das zu erledigen.“
„Du, Herzle, das war nicht sehr gescheit von dir!“
„Warum nicht?“
„Wer nach dem ‚Westen‘ gehen will, der hat sich vor allen Dingen in der Schweigsamkeit zu üben, ganz gleich, ob es da drüben noch
Weitere Kostenlose Bücher