0490 - Hiebe auf den ersten Blick
Für Mr. Halsey Torrington ging ein arbeitsreicher Tag zu Ende. Es hatte Ärger gegeben, denn er hatte bei einer internen Buchprüfung seiner Betriebe einen Fehlbetrag von 480 000 Dollar festgestellt. Seit wenigen Stunden wußte er auch, wo das Geld geblieben war.
Als das Telefon klingelte, griff er energisch nach dem Hörer.
»Halsey Torrington, hier«, meldete er sich.
Die Stimme am Telefon klang rauh, aufgeregt und ängstlich zugleich. »Es ist etwas Furchtbares passiert, Mr. Torrington! Halle III ist in die Luft geflogen!«
»Was?«
»Alles ist ein Flammenmeer. Der Brand droht auf die Nebengebäude überzugreifen und…«
»Wer spricht dort eigentlich?« fragte Torrington mit gewohnter Schärfe.
»Corkney, ich bin der Pförtner. Mr. Norman hat mich beauftragt, Sie anzurufen. Ihr Wagen ist schon unterwegs. Er muß jeden Augenblick eintreffen.«
Wie auf ein Stichwort hupte es im Park. Gleich darauf läutete es an der Haustür.
Mr. Halsey Torrington warf den Hörer auf die Gabel, riß die Tür auf, die in eine große Halle führte, und stürzte ins Freie.
Niemand begegnete ihm, denn um diese Zeit schlief sein Hauspersonal bereits.
Der Chauffeur öffnete den Wagenschlag und verbeugte sich tief. Sein Gesicht blieb dabei im Dunkeln.
»Lassen-Sie die Faxen!« fuhr ihn Torrington an. »Fahren Sie los, Mensch!«
Er war so aufgeregt, daß er sich nicht einmal die Zeit nahm, seinen Chauffeur anzuschauen. Mr. Halsey Torrington dachte nur an das Werk, an die Halle III, die in hellen Flammen stehen sollte.
Der Wagen rollte über den breiten Kiesweg zum Parktor und bog dann zur Straße ein. Aber anstatt nach links, fuhr er nach rechts.
Torrington klopfte an die Scheibe, die den Fond vom Fahrersitz trennte.
Der Fahrer schien nichts zu hören.
Torrington hämmerte mit den Fäusten dagegen, schrie, tobte und fluchte. Doch der Fahrer behielt unbeirrt seine Richtung bei. Durch keine Bewegung gab er zu erkennen, ob er seinen Fahrgast überhaupt hörte. Nur einmal griff er zum Armaturenbrett und legte einen kleinen Hebel um.
Torrington bemerkte den süßlichen Geruch des ausströmenden Gases nicht sofort. Als er mit Atemnot zu kämpfen hatte, war es zu spät für ihn. Verzweifelt versuchte er die Tür zu öffnen. Doch die Verriegelung ging nicht auf. Seine Finger krallten sich um das kalte Metall, verkrampften sich und glitten kraftlos am Leder der Innenverkleidung nach unten. Halsey Torrington verlor das Bewußtsein…
***
Ich bot ihm einen Kaffee an, denn Mr. Franklin Torrington schien ein wirklich sympathischer Mann zu sein. Die Sorge um seinen Bruder hatte tiefe Furchen in sein schmales Gesicht gegraben. Obwohl er völlig durcheinander war, versuchte er möglichst zusammenhängend zu berichten:
»Ich habe Hai vorgestern zum letztenmal gesehen, Mr. Cotton. Wir wohnen kaum zehn Minuten voneinander entfernt. Jeder hat sein eigenes Haus. So alte Junggesellen wie wir haben ihre Eigenheiten. Drei-, oft auch viermal pro Woche sahen wir uns im Werk. Ich bin als Außenrepräsentant tätig und sehr viel unterwegs.«
»Und Ihr Bruder erzählte nicht, daß er irgendwelche Schwierigkeiten hätte?«
»Doch, das ist es ja eben. Er sprach von einer großen Unterschlagung, der er auf die Spur gekommen sei. Aber etwas Genaues schien er noch nicht zu wissen.«
Ich machte mir ein paar Notizen. Die Unterredung mit Mr. Franklin Torrington führte ich allein, ohne Stenografen, in meinem Büro. Die Torringtons waren eine bekannte New Yorker Familie. Und Franklin hatte mich gebeten, die Nachforschungen nach seinem Bruder mit größter Diskretion zu betreiben.
Nur hatte sich die Sachlage in den letzten drei Stunden sehr verändert. Als Franklin die Vermißtenanzeige machte, wußte er noch nichts von dem Brief, der auf seinem Schreibtisch lag.
Er brachte ihn mir vor zwanzig Minuten. Und nun war zumindest ein klarer Tatbestand gegeben: Kidnapping und Erpressung!
Der Brief war kurz und lautete:
Mr. Franklin Torrington, wenn Sie Ihren Bruder gesund Wiedersehen wollen, dann halten Sie eine Million Dollar in kleinen Scheinen bereit. Wir geben Ihnen achtundvierzig Stunden Zeit. Sollten Sie sich mit der Polizei in Verbindung setzen, werden wir den Betrag um eine halbe Million erhöhen.
Eine Unterschrift fehlte, wie meistens bei solchen Erpresserbriefen.
Ich beugte mich über den Schreibtisch und blickte Franklin Torrington ernst an. »Bei Erpressung schalten wir uns nur dann ein, wenn wir, wie in Ihrem Fall, damit nicht das Leben des
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