0839 - Ruhe sanft und komm nie wieder
befanden sich einige Grabsteine, dort lag der Friedhof, den wir nur schwach auf unserem Weg gesehen hatten, meiner Ansicht nach aber eine entscheidende Rolle spielte, weil Sellnick diese Leiche unter die Erde bringen wollte.
Soviel wir erkennen konnten, bewegte sich dort noch nichts. Also waren wir schneller gewesen, und ich überlegte mir, ob wir auf dem Friedhof unser Versteck suchen sollten.
Jane hatte anderes vor. Sie schlich auf die Tür zu, blieb dort für einen Moment stehen, um sich umzuschauen, bevor sie die Hand auf die Klinke legte und die Tür öffnete.
»John!« zischelte sie.
»Ich komme.«
Wie ein Schatten huschte ich auf die von Jane offengehaltene Haustür zu und schaute, ebenso wie sie, in die Finsternis des leeren Hauses. Die große Diele lag wie ein breiter Tunnel vor uns. Wir sahen nur schwach den Umriß eines alten Kachelofens und ebenso schwach den Aufgang einer Treppe.
Nichts wies darauf hin, daß jemand in diesem Haus wohnte. Jane Collins bewegte sich langsam durch den Flur, und sie versuchte dabei, die Schrittgeräusche so weit wie möglich zu dämpfen.
Vor der Treppe blieb ich stehen.
»Willst du hoch?«
»Wenn du mitgehst.«
Ich hob die Schultern. »Ich denke, wir sollten das Haus hier in Ruhe lassen. Wenn mich nicht alles täuscht, befindet sich außer uns niemand mehr hier.«
»Für dich ist der Friedhof wichtiger, denke ich mal.«
»Richtig.«
Jane hob die Schultern. »Okay, wie du willst. Allein bleibe ich auch nicht zurück.«
Ich hatte bereits die Tür geöffnet und warf einen scheuen Blick ins Freie.
Es gab keine Veränderung. Ich sah das Tor, ich sah den dunklen Wall der Hecke, aber ich hörte jenseits dieser natürlichen Mauer entsprechende Geräusche. Das konnten Stimmen sein, unter die sich die Trittgeräusche mischten.
Sellnick und seine Helfer hatten den Friedhof erreicht!
Ich atmete tief durch, und irgendwo fühlte ich mich auch bestätigt. Wir hatten richtig kalkuliert, und Jane Collins reagierte wie aufgeputscht, als sie mich stehenließ und auf das Tor zueilte. Ich lief ihr nach und blieb erst stehen, als wir beide das Ziel erreicht hatten.
»He, was ist los?«
»Willst du nicht auf den alten Totenacker?«
»Okay, aber…«
»Wir müssen hin, John.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf sich. »Und ich werde den Lockvogel spielen.«
»Wie bitte?«
»Ich habe schon einen Plan. Ich werde sie überraschen. Ich betrete den Friedhof und setze mich auf einen der Grabsteine.« Sie lächelte mich scharf an. »Ich spiele denen eine Figur vor.«
»Was willst du damit erreichen?«
»Ich will sie aus der Reserve locken. Ich will, daß sie vor Staunen umkippen. Wenn die Überraschung sie in den Klauen hält, dann bist du an der Reihe.«
Ich überlegte noch und wollte ihr sagen, daß es zu gefährlich war, aber was sich die Detektivin einmal in den Kopf gesetzt hatte, führte sie auch durch.
Die Scharniere quietschten leise, als Jane das Tor öffnete. Sie huschte hindurch, duckte sich sofort und verschwand zwischen den Grabsteinen.
Ich achtete nicht mehr auf sie, denn mir war etwas anderes aufgefallen. Stimmen waren an meine Ohren gedrungen.
Sellnicks Stimme kannte ich.
Die andere auch - oder…?
Es war nicht die Stimme eines Erwachsenen. Sie mußte einem Kind oder einem Jugendlichen gehören, und Sekunden später fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Jetzt wußte ich, mit wem Henry O. Sellnick sprach.
Mit Elohim!
***
Sellnick starrte auf den Jungen nieder, und er konnte seine Freude kaum unterdrücken. Dank einer zweiten Existenz spürte er, daß dieser Junge etwas Besonderes war, auch wenn er aussah wie ein normales Kind in seinem Alter. In ihm war trotzdem etwas begraben, das andere Kinder oder Menschen nicht besaßen, und es war genau diese Kraft oder Macht, die für Sellnick so interessant war.
Er beugte sich noch tiefer und faßte Elohim an. Die Spitzen seiner Finger strichen wie kalte Eiswürfel über die Haut des Jungen, als wollten sie prüfen, ob sie warm und mit Leben erfüllt war. Ein bösartiger Ausdruck zeichnete das Gesicht des Mannes. In den Augen funkelte der kalte Glanz des Todes.
Seine beiden Helfer hatten den Sarg abgestellt und warteten in respektvoller Distanz. Sie spürten, daß sie ihren Chef nicht stören durften, denn was in seiner Nähe geschah, würde auch ihre Zukunft bestimmen.
Sellnick zog seine Hand zurück. »Wer bist du?« fragte er zischelnd. »Wer? Sag mir deinen Namen!«
»Elohim…«
Sellnick überlegte. Er
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