100 - Des Teufels Samurai
Schwarzer Samurai oder als Samurai mit der Maske berühmt."
„Ist das die ganze Geschichte?" fragte Dorian enttäuscht.
„Nein, doch es genügt für den Anfang", sagte Yoshi. „Ich werde Ihnen während des Schauspiels weitere Einzelheiten nennen… Aber jetzt aufgepaßt! Die Hauptdarsteller betreten die Bühne. Das muß Hoichi sein.
„Wer ist Hoichi?" fragte Dorian. Er beobachtete den Mann, der auf die Bühne kam - aufrecht und ohne jede Theatralik. Sein Gesicht war weiß geschminkt, und sein Kopf war kahl geschoren. Die Augenbrauen waren rasiert. Nur um die Mundwinkel waren mit Farbe tiefe Falten gezeichnet, die wohl unsägliches Leid symbolisieren sollten. Er trug einen einfachen Umhang, ganz im Gegensatz zu den anderen Darstellern. In seinem Bastgürtel steckten ein kurzes und ein langes Schwert.
„Das ist seltsam", sagte Yoshi nachdenklich. „Normalerweise tritt Hoichi erst in der zweiten Hälfte des Stückes als Kriegermönch auf. Hoichi ist der leibliche Sohn des Daimyo. Nachdem sein Milchbruder Tomotada das Familienschwert gestohlen hat, läßt er sich das Haar scheren, wird Mönch und legt das Gelübde ab, nicht eher zurückzukehren, bis er die Schmach gerächt hat und das Familienschwert mit dem Namen Tomokirimaru wieder in seinem Besitz ist."
„Und was stört Sie daran?"
„Normalerweise läuft ein Kabuki chronologisch ab…"
„Sie selbst sagten, das sei kein normales Kabuki, sondern eine Beschwörung."
Yoshi nickte.
„Vielleicht liegt es wirklich daran."
„Was geschieht jetzt?" fragte Dorian gespannt.
„Hoichi befindet sich bereits seit langer Zeit auf der Suche nach dem. Tomokirimaru. Er will vor allem das Familienschwert - das sogenannte Schwert der Schwerter - und erst in zweiter Linie den Dieb haben… "
„Aber was hat das mit mir zu tun?" wollte Dorian wissen.
„Warten wir ab", sagte Yoshi achselzuckend. „Versuchen Sie, sich zu erinnern, Richard. Gibt es irgendeinen Zusammenhang von dieser Legende und Ihrem Schicksal? Das könnte ein Anhaltspunkt sein."
Dorian betrachtete Yoshi mißtrauisch von der Seite. Doch der Japaner schenkte ihm überhaupt keine Beachtung. Er beobachtete gebannt die Geschehnisse auf der Bühne.
Nein, Yoshi hatte keine Ahnung von der Wahrheit. Er glaubte ihm, daß er Richard Steiner war. Dessen Leben konnte mit dieser Legende nichts zu tun haben. Dorian Hunters Leben aber sehr wohl…
Es konnte kein Zufall sein, daß das Kabuki in einer Zeit spielte, in der der Dämonenkiller sein fünftes Leben gelebt hatte, an das er jedoch keine Erinnerung hatte.
Er erinnerte sich nur daran, daß er als Michele da Mosto in Gegenwart einer gesichtslosen Mujina auf magische Weise dazu gezwungen worden war, seinem Leben durch Harakiri selbst ein Ende zu bereiten. Dies hatte der Kokuo no Tokoyo veranlaßt, der Herrscher des japanischen Niemandslandes… Und der Kokuo war kein anderer als Olivaro gewesen.
Dorian wußte nur noch, daß er vierundzwanzig Jahre nach seinem Selbstmord, im Jahre 1610, in Deutschland wiedergeboren worden war.
Aber was war in der Zwischenzeit passiert? Welches Leben hatte er geführt? Sollte er durch dieses magische Kabuki Aufschlüsse über sein fünftes Leben erhalten?
Tomokirimaru… Hoichi… Hatakeyama Yoshimune… Irgendwie hatte er das Gefühl, daß diese Namen ihm vertraut sein müßten. Und doch konnte er sie nicht mit bestimmten Erlebnissen verbinden. Tomotada - der Samurai mit der Maske!
Hatte er in einem früheren Leben einmal mit ihm zu tun gehabt? Er kam nicht dahinter, obwohl er sich das Gehirn zermarterte.
„Sie sind ja schweißgebadet!" stellte Yoshi erschrocken fest.
„Ich denke nach", sagte Dorian.
„Passen Sie auf das auf, was sich auf der Bühne abspielt", riet Yoshi. „Jetzt wird es dramatisch. Hoichi kommt auf seiner Suche in das Haus einer armen Bauernfamilie."
Dorian sah die Szene vor sich. Er sah das ärmliche Haus - nicht durch die Gesten des Kabuki hindurch. Nein, das Haus war realistisch, und auch die Landschaft.
Und Hoichi war kein Schauspieler mit theatralischen Gebärden und herablassender Mimik… Dorian sah ihn, wie er leibte und lebte.
Ihm war, als erlebte er die Vergangenheit selbst.
Japan, 1605.
Hoichis Füße waren wund von der langen Wanderung. Er hatte seit Tagen kaum gerastet und war nur manchmal für kurze Zeit in einen unruhigen Schlaf gefallen, wenn ihn die Müdigkeit übermannte. Er hatte sich von Wurzeln und Beeren ernährt, und von den Gaben, die mildtätige Menschen dem
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