100 - Des Teufels Samurai
Stufen haben mußte, befand sich ein Torbogen. Daneben stand ein Wachturm. Yoshi hielt inne.
„Was…", fragte Dorian.
Doch der Japaner gebot ihm Schweigen. Er hielt den Dämonenbanner hoch und hielt ihn prüfend in die Richtung des Wachturmes und dann auf die andere Seite.
Er deutete geradeaus.
„Der Weg ist frei."
„Sind Sie ein Wünschelrutengänger?" fragte Dorian. Steiner hätte sicherlich einen solchen Scherz gemacht.
„Tun Sie nicht so, als hätten Sie von Dämonen keine Ahnung", sagte Yoshi fast barsch. „Ich weiß zufällig, daß Sie seit langem mit den Mächten der Finsternis konfrontiert worden sind."
Dorian hätte sich ohrfeigen können. Natürlich mußte Richard Steiner von der Existenz der Dämonen und der Schwarzen Familie wissen. Er hatte ja vor Jahren mit Coco zu tun gehabt. Es war ein Fehler gewesen, sich so dumm zu stellen. Allerdings hatte er nicht wissen können, daß Yoshi so gut über Steiner Bescheid wußte.
„Warum haben Sie nicht gleich gesagt, daß wir es mit Dämonen der Schwarzen Familie zu tun haben", sagte Dorian. „Ich konnte nicht ahnen…"
Yoshi winkte ab. Sie kamen in ein Gebäude, aus dem schwacher Lichtschein fiel. Von ferne waren Geräusche zu hören.
„Dieses Kabuki wird von Dämonen inszeniert", sagte Yoshi. „Aber das besagt nicht, daß diese der Schwarzen Familie angehören. Sprechen Sie jetzt nicht!"
Sie schritten durch das halb verfallene Gebäude und kletterten über Mauerreste. Dann gelangten sie wieder zu einem Tor. Vor ihnen lag ein hundert Meter breiter Platz, der von Unkraut und Sträuchern überwuchert war. Der Lichtschein, den Dorian gesehen hatte, kam von einer Bühne, die vor dem Hauptgebäude errichtet worden war. Auf dieser Bühne hatten sich die gespenstischen Schauspieler formiert.
„Gleich wird das Schauspiel beginnen", sagte Yoshi. „Wir müssen vorsichtig sein, damit wir nicht entdeckt werden."
„Was hat das zu bedeuten?" fragte Dorian. „Eine Beschwörung?"
Der Japaner nickte.
„Ich nehme es an. Aber fragen Sie mich nicht, welcher Art diese Beschwörung ist. Noch weiß ich nicht, welches Stück zur Aufführung gelangen soll."
Dorian sah, daß die meisten der „Frauen" auf der linken Seite der Bühne Aufstellung genommen hatten. Auf der anderen Seite standen Männer mit kurzen Jacken, weiten Hosen und erhobenen Bambusstöcken.
Yoshi erklärte ihm, daß die Frauen Kurtisanen darstellten und nur der Staffage dienten. Ebenso wie die Männer mit den Bambusstäben, die Schwerter symbolisierten: Es waren Krieger.
Die Hauptdarsteller befanden sich noch nicht auf der Bühne.
Die Kurtisanen gaben einen seltsamen Singsang von sich, in den die Krieger gelegentlich einfielen.
Jetzt wirbelten die Krieger ihre Schwerter wie Jongleure durch die Luft. Die Kurtisanen machten mit ihren Fächern schwungvolle Bewegungen.
„Fächer sind das wichtigste Requisit des Kabuki", erklärte Yoshi. „Damit können die Darsteller die verschiedensten Empfindungen ausdrücken und Gegenstände darstellen, wie etwa ein Schwert oder Eßstäbchen, flatterndes Laub, den Schmetterlingsflug - oder wie in diesem Fall den Wind… Es ist eine stürmische Nacht, und es herrscht Krieg in diesem Land."
„Was hat der Gesang zu bedeuten. Etwa das Windsäuseln?" fragte Dorian absichtlich naiv.
„Nein. Die Schauspieler singen die Einleitung", antwortete Yoshi. „Das ist beim Kabuki nicht üblich, aber wir haben es hier mit einer Abwandlung zu tun. Mit einer Beschwörung. Ich weiß jetzt auch, welches Stück sich die Dämonendiener als Vorlage genommen haben."
„Kennen Sie die Handlung, Yoshi?" fragte Dorian hoffnungsvoll.
„Ja. Sie spielt zur Zeit, als Ieyasu Tokugawa an der Macht war, zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Ein rührseliges Stück, wenn Sie mich fragen. Aber voller Dramatik."
„Und worum geht es dabei?" fragte Dorian.
„Wir sind hier am Originalschauplatz", sagte Yoshi. „Dieser Palast gehörte einst dem Daimyo Hatakeyama Yoshimune. Es heißt, daß er gütig und weise zu den Seinen, aber gnadenlos und grausam gegen seine Feinde gewesen ist. Eines Tages, so berichtet die Legende, nahm Yoshimune ein Findelkind bei sich auf, einen Jungen, den er wie seinen leiblichen Sohn liebte und ihn zum Samurai ausbildete. Doch als dieser zum Jüngling herangewachsen war und seine Ausbildung abgeschlossen hatte, dankte er dem Daimyo seine Güte schlecht. Er stahl das kostbare Familienschwert und zog als Dieb und Mörder durch die Lande. Er wurde als
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