1.000 Euro für jeden
Aufbruch in eine
Kulturgesellschaft skizziert, wie er an den Rändern unseres Sozialstaates schon
seit geraumer Zeit zu erkennen ist. Sie spürt den Verunsicherungen der
»flüssigen Moderne« (Zygmunt Bauman) nach, die keine angestammten Plätze mehr
vergibt, weil sich Leben und Arbeit derzeit radikal verändern, mithin auch alle
Gewissheiten – und charakterisiert diese Phase umfassender
gesellschaftlicher Veränderungen als eine Zeit des »Nicht mehr und noch nicht«.
Der Sozialstaat, wie wir ihn noch kennen, ist längst an seine Grenzen gestoßen
und trägt nicht
mehr über die
neuen Ungewissheiten der Gegenwart. Aber noch sind die Umrisse einer kulturell
definierten Gesellschaft nicht genug ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Noch halten wir aus Angst vor der
ungewissen Zukunft an der bekannten Vergangenheit und ihren Lösungsansätzen
fest, obwohl zugespitzt gilt, was schon Albert Einstein feststellte: Wir können
nicht die Probleme mit demselben Denken lösen, das sie hervorgebracht hat.
Dennoch, stellt Goehler fest, bewegt sich eine Menge, vor allem im kulturellen
Feld, dem sie selbst zuzurechnen ist, als Beobachterin und Autorin. Dort drückt
sich die postindustrielle Realität am stärksten aus, werden neue Modelle von
Leben und Arbeit gefunden und aus Not erfunden, die eine zunehmende
gesellschaftliche Relevanz haben, dort treten aber auch die Fragen danach, wie
wir eigentlich leben wollen, offener zutage. Und obwohl die wirtschaftliche
Bedeutung des kulturellen Sektors erheblich zunimmt, ist die Hälfte aller
Arbeitsplätze darin so schlecht bezahlt, dass sie von der »Avantgarde der prekären
Verhältnisse« spricht.
Diese
Beobachtung machte Adrienne Goehler als Präsidentin der Hamburger Hochschule
für bildende Künste, als Mitglied diverser nationaler und internationaler
Kunstgremien und Jurys, als Berliner Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur
und auch als Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Sie brachte sie zu der Frage:
Ist es vorstellbar, dass eine Gesellschaft, deren Leitidee das Kulturelle ist
und die den Sozialstaat weiter und anders denkt, sich auf eine ökonomische
Grundsicherung, ein Grundeinkommen für alle verständigt, ein »Bürgergeld«,
»allocation universelle«, »renda basica«, »reddito di cittadinanza«,
»basisinkomen«, »borgerløn«? Ausgehend von der Überlegung, dass eine
Gesellschaft in solch einem dramatischen Umbruch es sich nicht leisten kann,
auf die Talente so vieler Menschen zu verzichten, indem sie diese auf ihren
Marktwert reduziert.
Den
anderen von uns beiden, Götz Werner, hatte die unternehmerische Praxis schon
vor längerer Zeit zum Thema Grundeinkommen geführt – genauer seine
Empörung über das komplizierte und ungerechte Steuersystem. In seinem ebenfalls
2006 erschienenen Buch Einkommen für alle erklärte er, wie das öffentliche Steuerwesen als ein
bürgerliches Gestaltungsinstrument funktionieren könnte, das Gerechtigkeit
schafft. Steuern und Abgaben sind lediglich Ausdruck eines gesellschaftlichen
Teilungsprinzips. Je nachdem, wie man das gesellschaftliche Vermögen einsammelt
und wieder aufteilt, entsteht dabei Gerechtigkeit oder eben nicht. Deswegen
kann und darf man nicht gedanken-, sprach- und tatenlos zusehen, wie ein
ungerechtes System weitere Ungerechtigkeiten verursacht. Angesichts der
wachsenden Armut in Deutschland, der schlechten Bildung, der immer größer
werdenden Schere zwischen Arm und Reich und einer Vielzahl von »Einzelfällen«
alltäglicher Demütigungen und Würdelosigkeiten, die er über die Jahre
beobachtet hat, braucht es – das war dem Autodidakten und Chef eines 30000
MitarbeiterInnen starken Handelsunternehmens klargeworden – dringend neue
Ideen.
Und so
stellte sich Götz Werner am Ende seiner Überlegungen, auf der Basis vollkommen
unterschiedlicher Erfahrungen, fast dieselbe Frage wie Adrienne Goehler: Was
wäre, wenn die Existenz eines jeden Bürgers garantiert und bedingungslos durch
ein existenzsicherndes Grundeinkommen gesichert wäre?
Wir trauen uns
Im Herbst
2007 trafen wir im Freiburger Stadttheater erstmals zusammen, eingeladen vom
dortigen Unabhängigen Kulturrat, der ahnte, dass es zwischen uns beiden funken
könnte. An einem kalten, düsteren Werktag im November referierten wir unsere
jeweiligen Zugänge zum Grundeinkommen und nahmen wahr, dass unsere Fragen und
Erfahrungen trotz grundverschiedener Hintergründe ineinander griffen.
Der
eine, Unternehmer, ökonomisch mit der
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