1381 - Romanze in Psi
Untertöne wegnimmt, ist doch nicht verwunderlich."
Dieses Argument wog schwer. Gotan mor Bralk kannte sich ausgerechnet auf diesem technischen Gebiet überhaupt nicht aus, und so war es ihm unmöglich, die Argumente des Technikers zu entkräften.
Er war fast bereit, die ganze Sache fallenzulassen.
Fast - aber nicht ganz.
Er zog sich zurück, um über das Problem nachzudenken.
Er wußte, daß irgendwo ein Fehler steckte, aber es erging ihm wie so manchem anderen: Wenn man allzu verbissen nach einer bestimmten Sache sucht, verliert man den Blick für die Umgebung und die Zusammenhänge.
Anders ausgedrückt: Gotan mor Bralk sah den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Dieser Zustand hielt an, bis ihm sein überstrapaziertes Gehirn die völlig sinnlose Idee präsentierte, das Versteckspiel aufzugeben und auf Talluur um Hilfe nachzusuchen. „Was für ein Unsinn", murmelte Gotan mor Bralk vor sich hin. „Ich müßte ihnen die Gesänge vorspielen, und sie könnten sie nicht beurteilen, weil eben diese verdammten oberen und unteren Töne feh..." Er brach ab.
Was hatte er da eben gesagt? Aber er hatte doch mit eigenen Ohren diese Musik über Lautsprecher gehört, und es hatte nichts gefehlt. Ganz im Gegenteil. Das Lied des Sechsten Tages, das der Sänger ihnen bei seinem Anflug auf Jezetu förmlich entgegengedröhnt hatte, war der mächtigste Gesang, den Gotan mor Bralk in seinem ganzen Leben vernommen hatte Keiner der Gesänge, die der Sänger seither angestimmt hatte, war von solcher Überzeugungskraft gewesen. Überzeugungskraft - das war das Stichwort, das Gotan mor Bralk in diesem Augenblick noch gefehlt hatte.
Er stöhnte unwillkürlich auf und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Wenn die Vermutung, die sich ihm jetzt aufdrängte, richtig war, dann hatte dieser verhaßte Kartanin die besten Chancen, Gotan mor Bralk in bezug auf das Ansehen, das er genoß, mit Lichtgeschwindigkeit weit zu überholen.
Es war ein teuflischer Kreislauf, in den die Zuhörer des fahrenden Sängers hineingezogen wurden: Wer angesichts dieses wundervollen Gesangs überhaupt den Verdacht schöpfte, daß irgend etwas damit nicht stimmen könnte, der konnte das nicht beweisen, weil er sich um dieses Beweises willen den Gesang erneut anhören mußte und so immer tiefer in den Einfluß des Sängers hineingeriet.
Gotan mor Bralk wäre bereit gewesen, sich selbst für ein Genie zu halten, weil es ihm geglückt war, aus diesem Teufelskreis auszubrechen, aber erstens mußte er sich eingestehen, daß ihm eine Reihe von Zufällen dabei geholfen hatte, und zweitens war das Problem noch lange nicht gelöst.
Gotan mor Bralk versuchte herauszubekommen, in welcher Richtung der Sänger ihn und die anderen beeinflußt hatte, aber das war gar nicht so einfach. Er konnte nämlich nichts finden, was auf eine Beeinflussung hingewiesen hätte.
Niemand hatte Sabotageversuche unternommen, von den Funkstationen aus verräterische Impulse abgesetzt, Jezetu mit unbekanntem Ziel verlassen oder sonstige illegale Absichten an den Tag gelegt.
Alles war normal - wenn man einmal von der Tatsache absah, daß sich mit der HARMONIE ein wildfremdes Raumschiff auf Jezetu aufhielt.
Dem Hauri wurde übel, wenn er sich ausmalte, was das möglicherweise bedeuten konnte. Er dachte an geistige Manipulation, die sich erst später - zum Beispiel auf Paghal - bemerkbar machen würde, und er wußte, daß er sofort Meldung erstatten sollte.
Der Abtransport mußte gestoppt werden. Jeder Insasse der Siedlungen, der auf irgendeine Weise, direkt oder indirekt, mit dem fahrenden Sänger in Kontakt gekommen war, mußte untersucht werden. Die HARMONIE mit ihren Passagieren mußte festgesetzt und isoliert werden. Es gab unendlich viel zu tun ... ... und einen Cheffunker zu degradieren.
Nach diesem Debakel konnte Gotan mor Bralk nicht auf die Gnade seiner Vorgesetzten hoffen. Sie würden ihn in die Wüste schicken - und es war leicht möglich, daß sie es im wahrsten Sinne des Wortes tun würden. Talluur hatte sehr große Wüsten, und sie waren alle miteinander überaus unerfreulich.
Vielleicht, dachte Gotan mor Bralk ,war gar nichts passiert. Es war eine vage Hoffnung, aber es war die einzige Hoffnung, die er noch hatte. Vielleicht hatte dieser Sänger zwar seine psionischen Kräfte, setzte sie aber nicht in feindlicher Absicht ein. Vielleicht war er wirklich ein ergebener Diener des Hexameron, und hinter dem Einfluß, den er mit seinen Gesängen ausübte, steckte wirklich nur die
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