148 - Der Herr der Teufelszwerge
wenn ihr mich weiter liebhabt.«
»Was redest du denn da, Kleines?« sagte Harry Albernathy entrüstet. »Natürlich haben wir dich lieb. Wir werden dich immer liebhaben, solange wir leben. Wir sind eine Familie, und wir halten wie Pech und Schwefel zusammen, egal, wie schmerzhaft das Schicksal uns schlägt.«
Er hatte damals angefangen zu trinken, trank immer noch.
Vielleicht auch deshalb, weil er im letzten Jahr dreimal seinen Job verloren hatte. Die Zeiten waren schlecht für Staubsaugervertreter.
Trotzdem verging kein Monat, in dem Harry Albernathy ohne eine Puppe für seine kleine Tochter nach Hause kam. Das ganze Zimmer war schon voller Puppen. Dennoch freute sich Estella über jede neue, die ihr Daddy ihr schenkte.
Anfangs hatte sich Estelle mit der Umstellung schwergetan.
Sie hatte plötzlich vieles, was ihr früher leichtgefallen war, nicht mehr tun können.
Doch heute, nach zwei Jahren, gab es nur noch wenig, worauf Estelle wegen ihres Gebrechens verzichten mußte.
Harry Albernathy hatte einen Treppenaufzug bauen lassen.
Der bequeme Sitz bewegte sich an der Wand entlang nach oben. Estelle brauchte niemanden, um sich draufzusetzen, und unten stand ein anderer Rollstuhl, in den sie sich ohne Hilfe schwingen konnte.
Sie versuchte, so unabhängig wie möglich zu sein, um den Eltern nicht zur Last zufallen. Manchmal war ihren Eltern ihre Selbständigkeit sogar ein bißchen zuviel.
Es gab kaum etwas, das sie nicht zuerst allein zu tun versuchte. Erst wenn es partout nicht klappen wollte, ließ sie sich – manchmal wütend auf sich selbst – helfen.
Sie hatte einen starken Willen und konnte sich, wie kein zweites Kind in ihrem Alter, in eine Sache verbeißen.
Wenn Estelle Langeweile hatte, holte sie Tante Megs Fernglas aus dem Schrank. Tante Meg war eine unmögliche Person, aber Estelle liebte sie.
Meg Langella war das schwarze Schaf der Familie. Sie war Mutters Schwester, doch das hätte niemand für möglich gehalten. Da war überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen den beiden. Als sie Estelle das Fernglas geschenkt hatte, hatte sie gesagt: »Hier, Kleines, das ist das einzige, was von meinem Ex übriggeblieben ist. Der clevere Knabe hat sich nämlich in Luft aufgelöst, damit er keine Unterhaltszahlung zu leisten braucht. Soll er da, wo er jetzt ist, verfaulen, nachdem ihn der Blitz getroffen hat. Sein Fernglas wird dir wertvolle Dienste leisten. Wenn du nicht weißt, was du tun sollst, guckst du einfach in den großen Park hinüber und schaust den Liebespärchen beim Schmusen zu.«
»Meg!« hatte Amy Albernathy entrüstet ausgerufen. »Du bist unmöglich!«
»Sag bloß, ihr redet der Kleinen immer noch ein, die Kinder würde der Storch bringen.«
»Wirst du wohl deinen Mund halten?«
»Ich denke, es wird Zeit, meine kleine Nichte mal ohne Hemmungen über diese Dinge aufzuklären.«
»Wenn du das tust, setzt du deinen Fuß nie wieder in dieses Haus.«
Tante Meg hatte es trotzdem getan. Sie setzte sich prinzipiell über jedes Verbot hinweg. Aber es blieb ihr und Estelles Geheimnis, daß sie sich darüber offen und ohne falsche Scham unterhalten hatten.
»Deine Mutter ist ein lieber Kerl«, hatte Meg Langella abschließend gesagt, »aber leider ein bißchen verzopft.« Sie hatte Estelles blondes Haar gestreichelt.
»Naja, glücklicherweise gibt es auch noch mich.«
Mit diesem Fernglas saß Estelle seit einer halben Stunde am Fenster und beobachtete die Menschen, die bereits am Morgen in dem riesigen Park unterwegs waren.
Ab und zu schaute sie auch zu der unheimlichen Villa hinüber, die auf einem kleinen Hügel stand und aus einem Grund, den sie nicht kannte, nicht bewohnt wurde.
Zwischen der Villa und dem Haus der Albernathys erstreckte sich die weite grüne Fläche des Parks, in dem Estelle früher oft gewesen war.
In diesem Park stand immer noch jener Baum, der Estelle zum Verhängnis geworden war. Von ihrem Fenster aus konnte sie ihn nicht sehen, es hätte ihr aber nichts ausgemacht, wenn er sich in ihrem Blickfeld befunden hätte.
Der Baum war schließlich nicht schuld an ihrem Unglück.
Das hatte sie sich schon selbst eingebrockt.
Amy Albernathy hatte ihrer Tochter stets viel Freiheiten gelassen. Dahinter steckte vor allem ihr Mann, der die Ansicht vertrat, daß man ein Kind, das sich richtig entfalten sollte, nicht mit zuvielen Verboten einschränken durfte.
Nun, sie hatte Harrys Wunsch entsprochen, obwohl sie nicht ganz seiner Meinung gewesen war. Nur in einem war Amy
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