165 - Am heiligen Berg
staubige Holperwege voll Löcher und Steinbrocken.
Aber Barkha war auch keine richtige Stadt, jedenfalls nicht in den Augen von George T.
Mullock.
Der dreiundfünfzigjährige Ölmilliardär hatte auf seiner Ranch nahe San Antonio einen Hangar, in dem er aus sentimentalen Gründen ein paar Kleinigkeiten wie den alten Privatjet und die Jacht von George Mullock Senior aufbewahrte. Barkha hätte vermutlich auch hineingepasst.
»Wirklich sehr ruhig!«, versuchte es Mullock ein zweites Mal, während der Wagen an kleinen Häusern aus Naturstein vorbei holperte, unter flatternden Gebetsfahnen her und auf eine Gruppe kahl geschorener Mönche zu. Sie trugen Gewänder aus verwaschenem roten Tuch, und sie sahen Mullock seltsam ausdruckslos entgegen. Das beunruhigte ihn. Sie hätten sanftmütig dreinblicken müssen. Man hatte es ihm zugesichert.
»Keine Solge, Mistel Mullock«, sagte Hu Zhang, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Die chinesische Legielung hat alles untel Kontlolle! Jedes Ploblem ist aus dem Weg geläumt! Del Wunsch unseles anglikanischen Fleundes wild sich fleudig elfüllen.«
Mistel Mullock war nicht überzeugt. Ein Stück abseits der Mönche war ein Mann aufgetaucht, der sehr wach und gezielt auf den nahenden Wagen blickte. Er trug eine Shuba – die weiche, fellgefütterte Lederjacke der Einheimischen –, weite Hosen und halbhohe Stiefel. Die Farbe seiner Haut zeugte von jahrelangem Aufenthalt in den Bergen, sein Haar bewegte sich im Wind. Hoch aufgerichtet stand er da und hielt ein Tuch umklammert. Es war weiß, lang wie ein Schal, und es hing schlaff zwischen seinen Fäusten herunter.
Mullock spürte ein flaues Gefühl im Magen. Er versuchte ruhig zu bleiben und sagte sich, dass kein Heckenschütze der Welt derart auffällig agieren würde. Außerdem hätte Hu Zhang etwas unternommen, wenn der Fremde gefährlich wäre. Zhang trug eine Pistole am Gürtelhalfter seiner Uniform, machte aber keine Anstalten, danach zu greifen.
Stattdessen lehnte er sich entspannt im Fahrersitz zurück und gähnte.
Und wenn es ein Ablenkungsmanöver ist?, dachte der Texaner unruhig. Was, wenn der Typ am Straßenrand postiert wurde, um Aufmerksamkeit zu erregen, damit irgendwo sonst jemand in Ruhe auf mich anlegen kann? Shit! Warum, zur Hölle, habe ich den Schlitzaugen vertraut und meine Bodyguards zuhause gelassen?
Mullock ärgerte sich über seine Angst, bis sie in Wut umschlug. Was wollte der verdammte Kerl da draußen?
Warum hielt er dieses Tuch fest?
Beim Näherkommen war zu sehen, dass etwas darauf geschrieben stand, in großen roten Buchstaben, die sich aber nicht entziffern ließen, weil der Stoff in Falten hing.
Das ist doch wohl nicht einer dieser lästigen Greenpeace-Aktivisten? Mullock widerstand nur mit Mühe dem politisch inkorrekten Wunsch, Hu Zhang ins Lenkrad zu greifen und den Fremden zu überfahren. Scheiß-Demonstranten! Rennen für jeden Mist auf die Straße! Was geht es diese Penner an, dass ich den Berg besteigen will? Gibt es keine Wale mehr, die sie retten können?
Mullock erinnerte sich mit Schaudern an das Theater, das eine vorzeitig bekannt gewordene Information Anfang Februar in den Vereinigten Staaten ausgelöst hatte: Mullock Oil Corporation stand im Begriff, einen äußerst lukrativen Handelsvertrag mit den Chinesen abzuschließen! Bei genauem Hinsehen verfehlte dieses Abkommen die Kartellbestimmungen um eine Winzigkeit und war deshalb noch anfechtbar; darum hatten sich Mullock und sein Expertenteam gleich nach Bekanntwerden der sensiblen Neuigkeit auf heftige Querelen mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft eingestellt.
Doch das Ölgeschäft interessierte gar keinen! Außer den Umweltschützern natürlich, aber die hängten ihre Nase ohnehin überall rein, wo sie nichts zu suchen hatte.
Zu Mullocks größtem Erstaunen war das Ganze durch die Medien gehuscht wie eine Wettermeldung – und hatte dann der offenbar wesentlich brisanteren Schlagzeile Platz gemacht, dass George T. Mullock, Ölmagnat und passionierter Bergsteiger, den Kailash zu bezwingen gedachte!
Kein Schwein in Amerika, da war sich Mullock sicher, hatte bis zu jenem Tag auch nur von der Existenz dieses Berges gewusst. Aber kaum war die Meldung heraus, brach eine Welle der Empörung los, wie man sie seit Free Willy nicht mehr erlebt hatte.
Rettet den Kailash!, hieß es plötzlich überall, und Hände weg vom Heiligen Berg! Kamerateams reisten nach Tibet, um live vom Ort des Geschehens zu berichten, es gab
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