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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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dem der Wali von Engyrijeh eine so große Summe anvertraut, kann kein Spitzbube sein. Ich werde den Einsiedler kommen lassen.“
    Er gab einem der drei Polizisten, welche uns gebracht hatten und mit uns eingetreten waren, einen Wink. Der Mann entfernte sich und brachte nach wenigen Augenbücken den Mir Alai herein. Als dieser uns erblickte, stürzte er zunächst auf seinen Sohn zu, schlug ihm die rechte Faust – den linken Arm trug er im Bunde – ins Gesicht und schrie ihn an:
    „Verfluchter, Abtrünniger, Hund, der seinen eigenen Vater beraubt! Allah zerschmettere dich! Heraus mit meinem Geld! Wo habt ihr es! Ihr habt es geteilt!“
    Dann sprang er auf mich zu, blieb vor mir stehen, streckte mir die geballte Hand entgegen und rief:
    „Verräter, Lügner, Mörder, sag sofort, wo es ist, sonst ist's um dich geschehen! Draußen stehen Hunderte von frommen Pilgern, welche dich zerreißen, wenn du es nicht gestehst!“
    Ich antwortete natürlich nicht; der Kadi fuhr ihn an meiner Stelle an:
    „Sei still, Schwachkopf! Dieser Effendi ist ein berühmter Gelehrter aus Frankistan, aber kein Dieb. Er hat das Vertrauen unsere berühmten Said Kaled Pascha genossen, und es fällt ihm gar nicht ein, sich an deinen Piastern zu vergreifen!“
    „Er ist's; ich weiß es genau!“ antwortete der Wütende. „Er wollte mich erschießen, hat mich aber nur in den Arm getroffen. Die Kugel ging mir durch das Fleisch und drückte sich dann an der Wand platt; ich habe sie mit. Und noch etwas anderes habe ich mit, nämlich einen Zeugen, welcher beweisen kann, daß dieser Christenhund aus Frankistan sehr viel Geld, also das meinige, in seiner Tasche hatte.“
    Er hatte dem Kadi den Tatbestand angezeigt und mußte ihn in unserer Gegenwart noch einmal erzählen. Er war eine Stunde nach unserer Entfernung schlafen gegangen, nachdem er seiner Frau das Geld noch einmal vorgezählt und es dann in einen Kasten gelegt hatte. Dieser Kasten stand zwischen ihm und seiner Frau auf dem Schlafteppich. Kurz nachdem er eingeschlafen war, weckte ihn ein Geräusch auf; er fühlte nach dem Kasten und erwischte dabei den Arm eines Mannes, welcher den Kasten stehlen wollte. Es entstand ein Ringen, wobei es sich zeigte, daß zwei Einbrecher da waren. Der eine riß mit dem Kasten aus; der andere hielt den Alten fest, eilte dann auch fort und gab, als er sich verfolgt hörte, einen Pistolenschuß auf ihn ab, durch welchen er verwundet und von der Verfolgung abgeschreckt wurde. Die Diebe waren jedenfalls über die Mauer gestiegen und hatten durch das Fenstergitter ihn das Geld zählen sehen. An den Türen des Hauses gab es keine Schlösser; der Einbruch hatte nur dadurch gelingen können, daß ich die Hunde hatte töten müssen.
    Der Einsiedler zeigte die plattgedrückte Kugel vor; es war eine Pistolenkugel, aber weder der Kysrakdar noch ich besaß eine Pistole. Der Zeuge war jener Pilger, welcher uns auf der Fähre beleidigt hatte. Seine Aussage war günstig anstatt ungünstig für uns, denn wir bewiesen durch dieselbe, daß wir zur Zeit des Einbruch schon längst jenseits des Flusses gewesen waren. Dennoch blieb der Alte bei seiner Meinung. Er schwor, daß wir die Diebe seien, wurde aber vom Kadi scharf zurechtgewiesen und aufgefordert, sich zu entfernen. Als er trotzdem auf mich losschimpfte, drohte ihm der Kadi mit sofortiger Arretur und Bastonade, falls er noch ein beleidigendes Wort zu mir sage: darum richtete er seinen Grimm nun ausschließlich gegen seinen Sohn, dessen sich der Kadi nicht annahm; der letztere hatte nicht ein einziges Wort an den Kysrakdar gerichtet; für ihn, den strenggläubigen Mohammedaner, war der ‚Verfluchte‘ eben gar nicht vorhanden.
    „Sabbi, vermaledeiter Sabbi, du hast deinen eigenen Vater beraubt und bestohlen!“ schrie der Alte, indem er seinen Sohn ins Gesicht schlug und ihn anspie. „Allah partschalamah – Allah zerschmettere dich. Ob ich einst den Himmel erben werde, daß weiß ich nicht, denn du bist mein Sohn und hast mich um die Seligkeiten des ewigen Lebens und um die Wonnen des Paradieses gebracht. Möge der Satan dich verschlingen!“
    In dieser Weise ging es eine Weile fort. Der Kysrakdar war arretiert und durfte sich nicht entfernen; als Sohn wollte er sich nicht an seinem Vater vergreifen, und so mußte er dessen wörtliche und tätliche Beleidigungen über sich ergehen lassen. Der Kadi tat dem keinen Einhalt; er gönnte dem zu einem andern Glauben Übergetretenen die Züchtigung, welche er erlitt. Aber

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