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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Spitze Afrikas ergießen. Warum war es nicht möglich gewesen, sie in der Flanke zu umgehen? Der Umriß der westafrikanischen Küste stand ihm lebhaft vor Augen. Er ergriff den weißen Springer und schob ihn über das Spielbrett. Hier war das richtige Feld. Zur gleichen Zeit, während er die schwarzen Horden südwärts vorstürmen sah, schwebte ihm eine andere, auf geheimnisvolle Weise gesammelte Streitmacht vor Augen, die plötzlich in ihrem Rücken auftauchte und ihre Verbindungen zu Land und zu Wasser abschnitt. Er hatte das Gefühl, durch seinen Willensaufwand diese andere Streitmacht ins Leben zu rufen. Aber man mußte rasch handeln. Wenn sie ganz Afrika unter ihre Kontrolle bringen konnten, wenn sie Flugplätze und Unterseeboot-Stützpunkte am Kap hatten, dann war Ozeanien in zwei Hälften geteilt. Daraus konnte sich alles ergeben: Niederlage, Zusammenbruch, eine Neuaufteilung der Welt, die Vernichtung der Partei! Er holte tief Atem. Ein seltsames Gemisch von Gefühlen – aber genaugenommen war es kein Gemisch, eher waren es einander ablösende Gefühlsschichten, bei denen man nicht sagen konnte, welches Gefühl das unterste war – regte sich in ihm.
    Der Anfall ging vorüber. Er stellte den weißen Springer auf seinen Platz zurück, aber für den Augenblick konnte er sich nicht einer ernsthaften Überlegung des Schachproblems widmen. Seine Gedanken schweiften erneut. Fast unbewußt malte er mit dem Finger in den Staub der Tischplatte: 2 x 2 = 5
    »In dein Inneres können sie nicht eindringen«, hatte Julia gesagt. Aber sie konnten in einen eindringen.
    »Was Ihnen hier widerfährt, gilt für immer«, hatte O'Brien gesagt. Das war ein wahres Wort. Es gab Dinge, eigene Taten, die man nie wieder los wurde. Etwas in der eigenen Brust war getötet worden: ausgebrannt und ausgeätzt.
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    George Orwell – 1984
    Er hatte sie gesehen; hatte sogar mit ihr gesprochen. Es war keine Gefahr dabei. Er wußte gleichsam instinktiv, daß sie jetzt so gut wie kein Interesse an seinem Tun und Treiben nahm. Er hätte eine zweite Begegnung mit ihr verabreden können, wenn einer von ihnen beiden es gewollt hätte. Tatsächlich waren sie sich durch Zufall begegnet. Es war im Stadtpark gewesen, an einem abscheulichen, schneidenden Märztag, als die Erde aussah wie aus Eisen, das ganze Gras abgestorben schien und nirgendwo eine Blütenknospe zu sehen war außer ein paar Krokussen, die sich durch das Erdreich durchgekämpft hatten, um vom Wind zerzaust zu werden. Er eilte mit frostblauen Händen und wässernden Augen dahin, als er sie keine zehn Meter von sich entfernt erblickte. Sofort fiel ihm auf, daß sie sich in einer schwer bestimmbaren Weise verändert hatte. Sie gingen, fast ohne Erkennen zu verraten, aneinander vorbei, dann kehrte er um und ging ihr, nicht sehr eifrig, nach. Er wußte, daß keine Gefahr bestand, niemand kümmerte sich um sie. Sie sagte nichts. Sie ging schräg über den Rasen davon, so als versuche sie, ihn loszuwerden; dann schien sie sich damit abzufinden, ihn an ihrer Seite zu haben. Schließlich kamen sie zu einer Gruppe zerzauster, entblätterter Sträucher, die weder als Versteck noch als Schutz vor dem Wind dienen konnten. Sie blieben stehen. Es war scheußlich kalt. Der Wind pfiff durch die Zweige und zerpflückte die verstreut dastehenden, schmutzig aussehenden Krokusse. Er legte den Arm um ihre Hüfte.
    Es gab keinen Televisor, aber es mußten versteckte Mikrofone da sein; außerdem konnte man sie sehen.
    Das machte nichts aus, nichts machte etwas aus. Sie hätten sich auf den Boden legen und das tun können, was sie gewollt hätten. Sein Fleisch erstarrte vor Grauen bei dem bloßen Gedanken. Sie reagierte überhaupt nicht auf seinen um sie gelegten Arm; sie versuchte nicht einmal, sich freizumachen. Jetzt wußte er, was sich in ihr verändert hatte. Ihr Gesicht war bleicher, und eine teilweise von einer Haarsträhne bedeckte lange Narbe lief über ihre Stirn und Schläfe. Aber nicht das war die Veränderung. Sie bestand darin, daß ihre Taille dicker und in einer überraschenden Weise steif geworden war. Er erinnerte sich, wie er einmal nach der Explosion einer Raketenbombe geholfen hatte, eine Leiche aus den Trümmern zu ziehen, und nicht über das unglaubliche Gewicht des Toten gestaunt hatte, sondern über seine Steifheit und die Schwierigkeit, mit der er sich handhaben ließ, so daß er eher aus Stein als aus Fleisch zu sein schien. Ihr Körper fühlte sich ebenso an. Es kam ihm der Gedanke,

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