Geliebte Gefangene
PROLOG
Grafton, Oxfordshire, England
Sommer 1641
Es war mitten im Hochsommer, und der kleine Ort Grafton war festlich geschmückt für die Verlobung der einzigen Tochter des Earl of Grafton mit dem ältesten Sohn von Fulwar Greville, dem Earl of Harington. Die Verbindung der Familien hatte niemanden überrascht, denn die beiden Earls waren schon seit Soldatentagen alte Freunde und standen Pate für das Kind des jeweils anderen. Es war ein Tag der Freude für alle.
In Lady Anne Graftons Zimmer im westlichen Flügel des Gutshauses hatten sich die Frauen versammelt, um ihr beim Ankleiden für das Bankett zu helfen.
„Magst du Lord Greville, Nan?“, fragte Annes junge Cousine Muna, während sie ihr vorsichtig die duftigen weißen Unterröcke über den Kopf zog. „Er scheint mir doch sehr ernst und streng zu sein.“
„Wie sein Vater“, bemerkte Annes alte Kinderfrau Edwina mit einem leichten Erschauern und zog Annes Korsett fester. „Sie nennen ihn nicht umsonst den Eisernen Earl.“
Anne lachte. Doch dann raubten ihr Edwinas resolute Hände an den Korsettschnüren beinahe den Atem. „Oh! Edwina, willst du, dass ich ersticke?“ Gehorsam schlüpfte sie in das rote Samtkleid, das ihr die alte Dienerin hinhielt. „Onkel Fulwar ist der liebenswürdigste Mann auf der Welt“, hörte man sie gedämpft durch die Stoffmassen sagen. „Und was Lord Greville angeht …“ Sie hielt inne. Auch wenn ihre Väter zusammen im Krieg auf dem Kontinent gewesen waren, wusste sie doch nicht viel über Simon Greville. Er war acht Jahre älter als sie und ein kampferprobter Offizier, der schon mehrfach wegen seiner Tapferkeit ausgezeichnet worden war. Aber Muna hatte recht. Sein Verhalten schien tatsächlich immer etwas streng und distanziert, als ob all das, was er bisher in seinem Leben gesehen und erlebt hatte, ihn über seine tatsächlichen Jahre hinaus hatte altern lassen.
In der einen Woche, die der Earl of Harington und sein Sohn jetzt in Grafton waren, hatte Anne nicht viel Zeit allein mit Simon verbracht. Zwar wollte er um ihre Hand anhalten, aber es war die Erlaubnis ihres Vaters, die er brauchte, nicht die ihre.
Und doch gab es da diesen Moment, mit dem Anne nicht gerechnet hatte. Es war sehr spät abends gewesen, als Simon auf dem Gut ankam, der Mond stand schon hoch über den sich wiegenden Kornfeldern. Natürlich war Anne neugierig auf ihn. Obwohl es ihre Pflicht war, diesen Mann zu heiraten, hoffte sie doch insgeheim, dass sie ihn auch wirklich mögen würde. Und so lehnte sie sich weit aus ihrem Fenster, als sie die Hufe der Pferde auf der Zugbrücke und dann auf dem Hof hörte.
Sie wusste, dass sie sich züchtig zurückziehen sollte, aber etwas hielt sie an ihrem Platz, und sie beobachtete weiter. Die Luft war noch erfüllt von der Wärme des Tages und dem süßen Duft des Geißblatts. Nur das Flattern der Tauben in ihrem Schlag durchbrach die Stille.
Simon Greville schwang sich aus dem Sattel. Er sah nach oben, direkt zu Annes Fenster. Unwillkürlich wollte sie sich abwenden, doch ihre Neugier war zu groß. Sein hart wirkendes, aber dennoch attraktives Gesicht war sonnengebräunt. Er zog seinen Hut und verbeugte sich tief vor ihr, bis die Federn fast die Erde berührten. Sein Haar war voll und dunkel. Ein wissendes Lächeln umspielte seine Lippen, während er wieder zu ihr hinaufschaute. Sein Blick sandte ihr einen gänzlich überraschenden Schauer über den Rücken. Alle Gedanken an Pflicht verflogen wie Blätter im Wind, und sie hatte das deutliche Gefühl, dass es das reine Vergnügen sein könnte, Simon Greville zu heiraten.
„Seht sie euch an“, sagte Edwina nun mit einem breiten Lächeln und riss Anne aus ihren Gedanken. „Du magst ihn, nicht wahr, meine Kleine? Und das ist nur richtig so. Ich bin mir sicher, dass Lord Greville ganz genau weiß, wie er dich glücklich machen kann.“
Eines der Mädchen verbiss sich ein Kichern.
„Edwina!“ Verlegen presste Anne die Hände gegen ihre glühenden Wangen. Eigentlich war sie mit ihren siebzehn Jahren schon beinahe zu alt, um zu heiraten. Sie war sich nur allzu bewusst, dass sie wegen ihres übervorsichtigen Vaters und seiner langen Weigerung, eine Ehe für sie zu arrangieren, nur sehr wenig von diesen geheimnisvollen Dingen wusste. Es gab Mädchen, die, obwohl viel jünger als sie, schon Mütter waren. „Ich bitte dich, sei still“, sagte sie. „Ich heirate Lord Greville, weil Papa es so will.“
Edwina lächelte. „Und das ist gut und
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