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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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lebhafter! Eins , zwei, drei, vier! Eins , zwei, drei, vier! . . .«
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    George Orwell – 1984
    Der von dem Hustenanfall verursachte Schmerz hatte in Winstons Gehirn noch nicht ganz den Eindruck verwischt, den sein Traum auf ihn gemacht hatte, und unter den rhythmischen Bewegungen der Gymnastik wurde dieser wieder lebhafter. Während er mechanisch seine Arme beugte und streckte, wobei sein Gesicht den beflissen begeisterten Ausdruck zur Schau trug, der für die Morgengymnastik Vorschrift war, versuchte er sich in Gedanken zurück in die unklare Zeit seiner frühen Kindheit zu versetzen. Das war äußerst schwierig. Schon bei den fünfziger Jahren trübte sich jede Erinnerung. Wenn es keine äußerlichen Anhaltspunkte gab, an die man sich halten konnte, verlor sogar der Verlauf des eigenen Lebens seine deutlich umreißbare Kontur. Man entsann sich großer Geschehnisse, die sehr wahrscheinlich gar nicht stattgefunden hatten, erinnerte sich an Einzelheiten von Vorfällen, ohne ihre Atmosphäre wiederherstellen zu können, und es gab lange leere Zeitabschnitte, mit denen man überhaupt nichts anzufangen wußte.
    Damals war alles anders gewesen. Sogar die Namen der Länder und ihre Gestalt auf der Landkarte waren anders gewesen. Luftflottenstützpunkt Nr. 1 zum Beispiel hatte zu der Zeit eine andere Bezeichnung gehabt: er hatte England oder Großbritannien geheißen, wenn auch London, wie er ziemlich sicher zu sein glaubte, immer London genannt worden war.
    Winston konnte sich nicht genau an einen Zeitpunkt erinnern, in dem seine Heimat nicht in einen Krieg verwickelt gewesen wäre, aber offenbar hatte es doch zwischendurch, während seiner Kindheit, eine ziemlich lange Friedensperiode gegeben; denn eine seiner frühesten Erinnerungen betraf einen Luftangriff, der für jedermann vollkommen überraschend gekommen zu sein schien. Vielleicht handelte es sich um die Zeit, als die Atombombe auf Colchester gefallen war. Er erinnerte sich nicht an den Luftangriff selbst, entsann sich aber, wie die Hand seines Vaters die seinige umklammert hielt, als sie hinunter, immer tiefer und tiefer hinunter an einen Ort tief unter der Erde geeilt waren, immer im Kreis auf einer spiralförmigen Treppe, die unter seinen Sohlen leise geklirrt und schließlich seine Beine so ermüdet hatte, daß er zu jammern begann und sie stehen bleiben und ausruhen mußten. Die Mutter, in ihrer langsamen, verträumten Art, kam ein gutes Stück hinter ihnen drein. Sie trug sein Schwesterchen – oder vielleicht auch nur ein Bündel Decken: er war nicht sicher, ob seine Schwester damals schon geboren war. Endlich waren sie an einen überfüllten Ort gekommen, den er als einen Untergrundbahnhof erkannt hatte.
    Menschen kauerten überall auf dem steingepflasterten Fußboden, und andere saßen, dicht zusammengedrängt, übereinander auf den Eisenträgern. Winston, sein Vater und seine Mutter fanden einen Platz auf dem Boden, und dicht neben ihnen saßen Seite an Seite ein alter Mann und eine alte Frau auf einem Eisenträger. Der alte Mann hatte einen guten schwarzen Anzug an, eine schwarze Reisemütze war über seinem sehr weißen Haar aus der Stirn gerückt; sein Gesicht war blaurot, und seine blauen Augen standen voller Tränen. Er roch heftig nach Gin, den seine Haut an Stelle von Schweiß auszudünsten schien, und man hätte glauben können, auch die Tränen, die aus seinen Augen rollten, seien purer Gin. Aber abgesehen von seiner leichten Betrunkenheit, litt er auch unter einem echten und unerträglichen Kummer. In seinem kindlichen Verstand begriff Winston, daß soeben etwas Schreckliches, etwas Unverzeihliches und nie wieder Gutzumachendes geschehen war. Es schien ihm auch, als wisse er, was es war. Jemand, den der alte Mann lieb hatte, vielleicht eine kleine Enkelin, war getötet worden. Alle paar Augenblicke rief der alte Mann von neuem aus:
    »Wir hätten ihnen nicht trauen dürfen. Hab' ich's nicht immer gesagt, Muttchen? Das hat man davon, daß man ihnen vertraut hat. Ich hab' es immer gesagt. Wir hätten diesen Lumpen nicht trauen sollen.«
    Aber welchen Lumpen man nicht hätte trauen sollen, daran konnte sich Winston jetzt nicht mehr erinnern.
    Seit dieser Zeit nämlich war der Krieg buchstäblich ein Dauerzustand geworden, wenn es sich auch genaugenommen nicht immer um den gleichen Krieg handelte. Mehrere Monate während seiner Kindheit hatten in London selbst wirre Straßenkämpfe getobt, an einige davon erinnerte er sich noch lebhaft. Aber die

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