1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
geschweißt, genietet, geschraubt, gepinselt, um ihr Fahrzeug am Tag X fertig zu haben, stets auch darauf bedacht, daß die Veränderungen zwar wirksam, aber nicht zu auffällig waren. Die weit nach unten gezogenen Seitenwände des Mähdreschers – so hofften sie – würden die Männer auf dem Turm nicht beachten. Es gab schließlich, je nach Firma und Jahrgang, ganz unterschiedliche Mähdreschertypen, von denen einige nicht nur in die Länder des OstBlocks, sondern auch in den Westen exportiert wurden.
Doch nicht nur um die technischen Vorkehrungen hatten sie sich kümmern müssen. Der Bauernhof war, wie in der DDR üblich, kein familieneigener Betrieb, sondern eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Das hieß, außer den Brockmüllers gab es noch zwei andere Mitarbeiter, und die hatten von der Umrüstung des Erntefahrzeugs auf keinen Fall etwas mitbekommen dürfen. Brockmüller war auf eine List verfallen, hatte Horst und Lisa Pankratz kurzerhand eine Urlaubsreise vorgeschlagen. »Das machen wir ganz inoffiziell«, hatte er zu ihnen gesagt, »und deshalb dürft ihr nicht groß drüber reden.«
»Aber es ist Erntezeit«, hatte Horst Pankratz zu bedenken gegeben, und er hatte ihm geantwortet: »Ich hab’ ja die beiden Städter hier. Die wollen sich mal so richtig austoben, und zu viert schaffen wir es leicht.«
Die Materialbeschaffung war ebenfalls von langer Hand in die Wege geleitet worden. Die 260 PS starke Maschine – die alte hatte nur 180 PS – stammte aus Kolin. Sie war schwarz über die tschechische Grenze gekommen. Und die großen Montageplatten hatte Brockmüller, wenn auch mit bezahlter Hilfe, weil er sie allein nicht transportieren konnte, in einem Eisenbahn-Ausbesserungswerk gestohlen.
Dem Schritt nach drüben sollte, zur Täuschung der Wächter, eine Scheinaktion vorausgehen, nämlich die wegen der Hitze des Tages auf den Abend verlegte Feldarbeit. Zwei Hektar Gerste warteten auf das gewaltige Fahrzeug vom Typ FORTSCHRITT, bei dessen Umbau sie also dafür hatten sorgen müssen, daß es weiterhin seine eigentlichen Funktionen erfüllen konnte.
Brockmüller stieg in die Fahrerkabine. Ihre Frontfläche und auch ihre Seitenwände bestanden vorwiegend aus Glas. An der rechten Seite, die in den entscheidenden Minuten dem Turm zugekehrt sein würde, hatten sie eine Stahlplatte eingefügt, die er vor die Glaswand ziehen konnte, um sich vor den Gewehrkugeln zu schützen.
Marianne Brockmüller und Tilmann kletterten durch die im Dach geschaffene Luke, streckten sich in ihren Nischen aus. Paul Kämmerer öffnete das Scheunentor und stieg dann auch in die Arche Noah, wie er den Mähdrescher für sich nannte.
»Liegt ihr gut?« fragte er.
»Ich hab’s bequem«, sagte Frau Brockmüller, und
Tilmann meinte: »Ich glaub’, ungefähr so ist es auch in einem U-Boot.«
Brockmüller startete, und der Kasten rumpelte auf den Vorplatz. Die gewaltigen hölzernen Scheunentorflügel blieben offen. Es sollte alles so aussehen wie immer, wenn der Bauer aufs Feld fuhr. Das geöffnete Tor bedeutete, daß er sein Fahrzeug nach getaner Arbeit wieder unter Dach und Fach bringen würde.
Langsam, fast im Schrittempo, ging es über einen Landweg. Es war ein friedliches Bild. Da fuhr in der Abendkühle der Bauer aufs Feld. Die Pfeife im Mund, thronte er auf seinem Sitz und blickte übers Land. Ein zufälliger Beobachter konnte denken, er betrachte das weidende Vieh oder taxiere das Korn. Doch es war anders. Brockmüller interessierte sich weder für den Zustand der Rotbunten noch für die Fülle und Schwere der Ähren, und wenn ihn einzelne landwirtschaftliche Vorgänge wie Schnitt und Drusch und Kornausstoß beschäftigten, dann nur insofern, als sie die Männer auf dem Turm in dem Glauben halten sollten, da leiste jemand, wie sie selbst, seinen Dienst an der Republik.
Nach zehn Minuten war das Gerstenfeld erreicht. Er brachte den Mähdrescher in Startposition, und dann ging es los. Das Ungetüm ratterte über die erste Bahn. Die Messer säbelten das Erntegut in Bodennähe ab, die Einzugsschnecke ergriff es mit ihren steuerbaren Zinken, die Zahnleisten transportierten es ins Innere. Dort schmetterte die Trommel die Körner heraus, die sich gleich darauf im Tank sammelten, und der Häcksler raspelte das Stroh, das am Fahrzeugheck nach draußen geschleudert wurde, aufs Feld fiel und dort als Mulch liegenblieb.
Auch der Silowagen, in den Brockmüller von Zeit zu Zeit den Inhalt des Korntanks entleeren
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