0062 - Wir fanden die geballte Ladung
»Adiós, adiós, Señores!«, rief Capitano Beranez und nahm abwechselnd Phil und mich in die Arme, presste uns an seine breite Brust und knallte uns schmatzende Männerküsse auf beide Wangen.
Rings um uns standen fünf andere hohe Offiziere der venezolanischen Polizei und redeten temperamentvoll durcheinander. Die Prozedur des Abschieds dauerte gut eine Viertelstunde. Jeder Einzelne musste uns umarmen und mit schmatzenden Küssen beglücken.
Phil grinste mich verstohlen an, während er sich gerade von einem braun gebrannten Kollegen aus Caracas umarmen ließ. Ich grinste zurück und bemühte mich, einen Wangenkuss des Capitanos möglichst schallend zu erwidern.
Wir hatten in der Hauptstadt Venezuelas einen sechswöchigen Kurs für Polizeioffiziere geleitet. Modernisierung der Polizei und so. Die Zentrale des FBI in Washington war auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet meinen Freund Phil Decker und mich zu dieser schönen Aufgabe abzukommandieren.
Nun, wir hatten die sechs Wochen mit viel Elan und noch mehr Spaß hinter uns gebracht. Unsere erwachsenen Schüler waren mäßig fleißig gewesen im Lernen, dafür aber umso fleißiger, als es darum ging, uns das Nachtleben zu zeigen. Und der letzte Abend war natürlich der schlimmste gewesen. Bis zum siebzehnten Trinkspruch hatte ich mitgezählt, dann hatte ich es aufgegeben. Jedenfalls brummten uns am nächsten Morgen die Schädel wie ein Bienenschwarm. Und dieser nächste Morgen also fand uns mit einem Ehrengeleit von sechs Offizieren am Pier in La Guaira, dem Hafen von Caracas.
Noch einmal drückte uns jeder die Hand. Mir kam es vor, als ob in manchen Gesichtern verstecktes Schmunzeln zu sehen war, aber ich achtete nicht weiter darauf.
Wir nahmen unsere Reisetaschen, die Koffer waren bereits an Bord, und stiegen die steile Gangway zur Santa Cruz hinauf die uns ohne Aufenthalt zurück nach New York bringen sollte.
Am Ende der Gangway stand ein schmucker Bursche mit braun gebranntem Gesicht und einer reichlich goldverzierten weißen Uniform.
»Gestatten, Señores«, sagte er und legte die gestreckte Hand an den Mützenschirm: »Oberleutnant Ferrerez, Erster Offizier an Bord. Darf ich Ihre Schiffskarten sehen?«
»Dürfen Sie, dürfen Sie«, nickte ich und warf meinem Freund einen auffordernden Blick zu. »Phil, zeig sie dem Oberleutnant!«
Phil stellte seine Reisetasche ab und zog die Schiffskarten aus seinem Jackett.
In dieser Sekunde heilte die Schiffssirene zum ersten Mal. Die Santa Cruz rüstete zum Ablegen und Ankerlichten. Am Bug turnten eifrige Matrosen herum, die ausgeworfene Leinen zurück an Bord hievten, auf der Brücke liefen ein paar Offiziere hin und her, und in der äußersten Mastspitze des vorderen Frachtbaumes sah ich sogar einen kühnen Burschen herumturnen, der absolut schwindelfrei sein musste und sich in manchem Zirkus hätte sehen lassen können.
Ich winkte noch einmal zurück, Phil reichte dem Ersten Offizier unsere beiden Karten und dann gingen wir an Bord. Der Offizier winkte einen Steward, der unsere beiden Reisetaschen nahm und uns nach einem allerletzten Winken zu unserer Kabine auf dem A-Deck führte.
Eine Viertelstunde später hatte die Santa Cruz bereits die offenen Gewässer erreicht, und die Küste von Venezuela verschwand langsam im Dunst des frühen Morgens hinter uns. An den Mann im Mast dachte ich um diese Zeit längst nicht mehr…
***
Gegen elf Uhr wurde eine Art zweites Frühstück serviert. Phil und ich verzichteten darauf. Wir hatten uns vom Steward zwei Liegestühle besorgen und auf dem B-Deck an einer schattigen Stelle auf stellen lassen. Bis zum Mittagessen dämmerten wir im Halbschlaf dahin und erholten uns von den Strapazen des Abschiedsabends.
Die Santa Cruz hatte fast genauen Kurs nach Nord. Weit außerhalb der Sichtweite mussten steuerbord die Aberhundert Inseln der Kleinen Antillen liegen. Zwischen Puerto Rico und Haiti wollte sich unser Schiff aus dem Karibischen Meer hinauswinden in den Atlantischen Ozean.
An ein richtiges Schlafen war nicht zu denken. Zwar hatten wir eine ziemlich ruhige Stelle an Deck erwischt, aber irgendwo über uns spielten Leute Tennis, und das eintönige Geräusch der geschlagenen Bälle tropfte störend in die Stille. Dazu kam das leise Brummen der Maschinen, das wiegende Schlingern des Schiffes, alles Dinge, an die man sich als »Landratte«, erst gewöhnen musste.
Das Schlimmste war freilich noch immer die Hitze. Obgleich wir uns nun schon sechs Wochen lang in diesen
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