Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2.01 Donnerschlag

2.01 Donnerschlag

Titel: 2.01 Donnerschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
Vom Netzwerk:
begrub.
    „Gute Nacht, mein Sohn“, sagte sie in einem so fürsorglich-freundlich-gezuckerten Ton, in dem nur die Frauen in ihren Liebesromanen säuseln konnten.
    Dann ging sie aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und drückte auf den Knopf des kleinen schwarzen Kästchens, das sie immer in der Brusttasche ihres Kostümblazers trug. ‚Saurons schwarze Seelenurne‘ nannte ich dieses Kästchen, denn im selben Moment fuhren die aus rostfreiem Stahl gefertigten Jalousien an meinen Fenstern herunter und wurden samt Tür von drei Dutzend Schlössern verriegelt.
    Huh, stöhnte ich und zählte die Tage bis zum Ende der Osterferien. So lange saß ich jetzt an einem Ort, der sicherer war als das legendäre Fort Knox. Der Safe, in dem die amerikanische Regierung ihren Goldschatz aufhob. Doch ich war keine verflixte Feinunze. Mich musste man nicht beschützen. Ich war ein abenteuerhungriger Junge in der Blüte seiner Jahre und ich wollte einmal die Wilde-Kerle-Welt retten. Nein, ich musste sie retten. Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt! Jetzt sofort. Damit sie nicht weiter wie eine alte Ruine zerfiel. Das war mir seit heute Abend klar, und deshalb hatte ich vorgesorgt. Das Rückgrat meines Lieblingsteddys hatte ich mit einem T-Eisen verstärkt, und weil Teddy, der T-Bär, heute zufällig auf dem Fensterbrett saß, dem äußeren Fensterbrett, stoppte sein Rückgrat den stählernen Vorhang aus Jalousien abrupt.

    Der Spalt war so breit, dass ich hindurchschlüpfen konnte, und es war noch nicht einmal zwölf, meine Strafe hatte also noch gar nicht wirklich begonnen, da war ich schon draußen. Ich zog mein Fahrrad aus den Büschen, in denen ich es bei meiner Rückkehr vor meiner Mutter versteckt hatte, und sauste hinaus in die Stadt.
    Ich wollte und musste die Wölfe finden. Ich musste herausfinden, was sie von uns wollten. Und obwohl ich nicht wusste, wie ich das anstellen sollte, wusste ich doch, dass ich der Einzige war. Der Einzige, der das leisten konnte. Denn ich, Nerv, das kleine Maskottchen, war nicht mehr nur der größte Wilde-Kerle-Fan. Nein! Ich war der einzige Kerl, der überhaupt noch wild war. Die anderen konnte ich seit heute vergessen. Die waren versteinert, sprachlos, gelähmt. Apokalyptisches Hasenfußpack. Oh Mann, war ich wütend auf sie. Ich sah sie noch immer vor mir stehen, nachdem die Wölfe verschwunden waren. Sie hörten das Gras, so wie ich es hörte, das um uns herum und um den Teufelstopf schrie. Sie hörten die Sätze von Erik und April:
    „Ich glaube, wir meinen was anderes.“
    „Ja, wir sind hier falsch! Das muss wohl ein Irrtum gewesen sein. Das riecht hier nach etwas, was es schon lang nicht mehr gibt. Das riecht hier zu sehr nach verlorenem Herzen!“
    Doch Leon und Co. sagten kein Wort. Sie schwiegen nur feige. Halt! Nein! Das stimmt nicht.
    „Wer war das?“, hatte Marlon gestammelt, als die Wölfe hinter dem Hügel verschwunden waren und:
    „Frag sie doch selbst!“, hatte Vanessa gezischt. „Los, mach schon. Renn hinter ihr her! Frag doch den Frühling, wie er heißt!“ Sie stach ihn mit ihrem Wespenblick, packte ihr Fahrrad und fuhr eifersüchtig davon.
    „Vanessa!“, rief Marlon, doch er rief es zu leise. Er flüsterte nur.
    Da kam Leon zu ihm, und obwohl er den Arm um seinen Bruder legte, hatte ich das Gefühl, dass er log. Dass er mehr wusste, als er zugeben wollte, oder dass er irgendetwas verbarg.
    „Komm!“, sagte Leon. „Das wird wieder gut. Und morgen ist alles wieder beim Alten!“
    Dann fuhren er und die Kerle nach Hause. Sie fuhren nach Hause! Habt ihr das kapiert?! Sie schimpften noch nicht einmal. Sie wurden nicht wütend. Sie taten so, als ging’ sie das alles nichts an. Als wäre der Zaun um den Teufelstopf nicht verrottet und morsch. Als wäre Willis Wohnwagen nicht verrostet. Als strahlte die Baustrahlerflutlichtanlage noch immer so hell wie vor drei langen Jahren, als Willi sie für sie aufgebaut hatte. Als wären sie immer noch neun oder zehn und nicht schon 13 Jahre alt. Süßholzgeraspelter Selbstbetrug! Die Nacht war so finster, wie sie finsterer nicht werden konnte, und das einzige Licht, das mich lockte und zog, war Klettes Satz:
    „Ich wünsch dir viel Glück und vor allen Dingen wünsch ich dir Mut.“
    „Mut, oh ja, Mut, der tut mir so gut!“, sang ich, ohne dass ich es merkte, und kam irgendwie zur Magischen Furt .
    Ich überquerte den Fluss, obwohl mir das Wasser auf meinem kleinen 12-Zoll-Tigerentenfahrrad dabei bis zum Lenker

Weitere Kostenlose Bücher