65 - Der verlorene Sohn 06 - Das letzte Duell
da. Man weiß nicht, was passieren kann. Der Zustand des Kranken ist nicht ungefährlich.“
„Der Gevatter muß aber fort.“
„Muß? Warum?“
„Er ist ins Gericht verlangt worden.“
„Ah, um wegen des Kranken hier vernommen zu werden?“
„Nein. Der Herr Staatsanwalt hat ihn bereits verhört. Aber es sind zwei Briefe gekommen. Vielleicht hätten Sie die Güte, sie einmal durchzulesen.“
„Zeigen Sie her!“
Der Arzt las die Briefe durch und fragte dann den Köhler lächelnd:
„Sie wissen nicht, was Sie sollen?“
„Nein. Ich habe überhaupt mit solchen Leuten nicht gern zu tun.“
„So haben Sie wohl gar Angst?“
„Ziemlich, Herr Doktor.“
„Das ist nicht nötig.“
„Meinen Sie?“
„Ja. Ich ahne, um was es sich handelt, fühle mich aber nicht berechtigt, darüber zu sprechen. Nur das will ich Ihnen sagen, daß Sie nichts Unangenehmes erfahren werden.“
„Gott sei Dank! Na, Alte, so hole die beiden Staatsanzüge aus der Kammer herunter.“
„Sie wollen also heute noch fort?“
„Ja. Es ist besser, wir erfahren, ob wir geköpft oder gehängt werden sollen!“
„Jedenfalls keins von beiden“, meinte der Arzt, indem er nach seiner Uhr sah. „Sie könnten mit dem Zug fahren, welcher in dritthalber Stunde von der nächsten Station abgeht.“
„Das ist unmöglich. Wir brauchen zum Ankleiden wenigstens eine halbe Stunde, und zu Fuß ist die Station dann nicht mehr rechtzeitig zu erreichen.“
„So müssen Sie fahren!“
„Oho! Mit wem denn?“
„Mit mir.“
„Sapperment! Sie wollten uns mitnehmen?“
„Ja. Ich setze mich auf den Bock und kutschiere Sie.“
„Das können wir gar nicht annehmen!“
„Warum denn nicht?“
„Sie, ein feiner, studierter Herr und wir – ojemine!“
„Dummes Zeug! Leute, die zum Fürsten von Befour bestellt worden sind, kann ich recht gut kutschieren, ohne daß ich mir den Respekt vergebe. Also, wollen Sie?“
„Warum denn nicht, wenn Sie uns die Ehre antun wollen! Aber Sie müßten eben eine halbe Stunde warten.“
„Das werde ich. Beeilen Sie sich nur nach Möglichkeit!“
Die beiden alten Leute verschwanden. Der Arzt instruierte den Holzschnitzer Weber, wie der den Patienten zu behandeln habe. Unterdessen erhob sich über ihnen ein Lärm, als ob die Stubendecke eingetreten werden solle.
„Die da oben scheinen sich freilich zu beeilen“, lächelte der Arzt.
„O gewiß“, antwortete Weber. „Sie werden Ihr blaues Wunder sehen, Herr Doktor!“
„Wieso?“
„Sie legen ihren Hochzeitsstaat an, der fünfzig Jahre lang in der Truhe gelegen hat, ein einziges Mal ausgenommen, als sie vor achtzehn Jahren bei mir Gevatter standen.“
„Da bin ich freilich neugierig.“
„Passen Sie besonders auf den Zylinderhut auf! Er war damals schon unaussprechlich: hoch wie eine Feueresse und rauh wie ein Pudelfell. Die beiden werden Furore machen in der Hauptstadt!“
Endlich kam es zur Treppe herab und zur Türe herein. Die beiden alten Gesichter glänzten vor Wonne. Der Köhler trat sofort zum Spiegel – denn droben gab es keinen –, zupfte sich sein Vorhemdchen zurecht und sagte in dem selbstbewußtesten Ton, der ihm möglich war:
„Man ist doch gleich ein ganz anderer Mensch, wenn man einmal die guten Sachen antut.“
Sie aber schob ihn kräftig zur Seite und schmunzelte:
„Geh auf die Seite! Wer wird so eitel sein!“
„Aber du darfst wohl in den Spiegel gucken, he?“
„Ich muß nach den Haubenschleifen sehen. Das hast du ja nicht nötig!“
Während sie sich vor dem Spiegel nach rechts und links drehte, trat der Arzt zu dem Handkorb und blickte hinein.
„Sapperment!“ sagte er. „Was haben Sie denn da eingepackt?“
„Brot und Käse und Backäpfel.“
„Wozu denn?“
„Zur Fourage.“
„Was? Diesen harten Käse wollen Sie essen?“
„Herr, es ist der feinste Reibekäse!“
„Wie alt denn?“
„Na, er liegt schon einige Jahre droben auf dem Balken. Je älter, desto besser.“
„Gott, sind Sie um Ihre Zähne zu beneiden! Aber diese Äpfel? Sind das nicht Holzäpfel?“
„Ja. Die haben mir Mühe gemacht damals.“
„Wann war denn dieses damals?“
„Vor ungefähr zwanzig Jahren.“
„Dann schmeckt das Zeug doch wie Galläpfel!“
„Ja, es wickelt einem die Zunge ein bißchen zusammen; aber das schadet nichts; das ist gesund. Sauer macht lustig!“
„Gott erhalte Ihnen Ihren Magen! Aber wo denken Sie denn, diese Nahrungsmittel zu verkaufen?“
„Na, in der Hauptstadt!“
„Das
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