AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
Der verkaterte Maler wird wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses notiert. Eine große Liebe in Wien endet als „besoffene“ Geschichte in Dresden. „In Kokoschkas Wohnraum, auf dem Sofa, hinter dem runden Tisch, saß lebensgroß, schimmernd weiß, gekrönt von kastanienbraunem Haar, einen blauen Mantel um die Schulter, die Puppe, der Fetisch, die künstliche Frau, die ideale Geliebte, das ideale Modell.“ So schildert ein Besucher Kokoschkas die ungewöhnliche Erscheinung im Atelier des Künstlers.
Während seines Aufenthalts in Dresden, wohin Kokoschka zur Genesung nach seiner Kriegsverwundung gekommen war und wo er ab August 1919 an der Kunstakademie lehrte, versuchte er den Verlust Almas durch den Besitz einer originalgetreuen Puppe zu kompensieren. Die Wiener Puppenmacherin Wilhelmine Moos musste dem Maler aufgrund genauer Anweisungen einen lebensgroßen Fetisch gestalten. Kokoschka hat genaue Vorstellungen vom Objekt seiner Begierde und gibt präzise Anweisungen. So schreibt er an Frau Moos: „Sehr neugierig bin ich auf die Wattierung, auf meiner Zeichnung habe ich die mir wichtigen Flächen, entstehenden Gruben, Falten etwas schematisch angedeutet.“ Die lebensgroße Marionette, die nicht widersprechen, sich nicht widersetzen kann, soll die verlorene Geliebte wiederbringen. Wie verzweifelt muss ein Mann sein, um eine Frau durch ein lebloses Objekt aus Watte und Stoff ersetzen zu wollen? Oskar Kokoschka hat nicht nur das Ziel und die Erfüllung seiner sexuellen Begierde, sondern auch und vor allem den Impuls seines künstlerischen Schaffens verloren.
Kokoschka und sein Dienstmädchen Hulda, das er „Reserl“ nennt und die ihn sklavisch verehrt, inszenieren mit der nackten Stoff-„Alma“ Spiele. Die „stille Frau“ wird zu einer Mitbewohnerin des seltsamen Paares im „Pavillon J“ des Großen Gartens. Dort war Kokoschka als Untermieter des Direktors der Dresdner Gemäldegalerie, Hans Posse, untergekommen. Verzweifelt schreibt er: „Liebes Almi, … Ich konnte die Stadt nicht mehr leiden, in der ich mit Dir gelebt hatte, und jetzt habe ich alle Ansprüche an Dein Herz aufgegeben, ohne, was mir Gott gegeben hat, mir ganz aus dem Sinn schlagen zu müssen.“ Doch die Angebetete bleibt ungerührt: „Oskar Kokoschka ist mir ein fremder Schatten geworden … nichts interessiert mich mehr an seinem Leben. Und ich habe ihn doch geliebt!“, notiert Alma Mahler in ihrem Tagebuch.
Reserl, Kokoschkas sächsische Kammerzofe, hat Mitleid mit dem „Rittmeister“, wie sie ihn ehrfürchtig nennt. Nur zu gerne ist das „hübsche, junge Ding“ bereit, ihrem Herrn Ablenkung zu verschaffen. Als Kokoschka nach einer durchmalten Nacht baden möchte, erscheint ihm eine höchst fleischliche Wassernixe: „Durch das Kellerfenster fiel Mondlicht ein, und da tauchte zu meiner Überraschung wie Undine im Märchen, Reserl aus dem Wasser auf. Mit herausfordernder Nachlässigkeit sagte sie, sie wollte mir bloß helfen, die Gedanken an den Toten zu vergessen. Ihre Aufgabe wäre doch, Kammerzofe meiner Puppe zu sein, die zu meiner Lebensgefährtin bestimmt sei. Ihr gesunder Menschenverstand jedoch sage ihr, dass mir dann die Wärme im Bett fehlen würde“, erzählt der Meister in seiner Autobiografie „Mein Leben“.
Doch Oskar Kokoschka bleibt auf die Verflossene und ihre Kopie fixiert. Da sich die Puppe als für nächtliche Eskapaden völlig ungeeignet erweist, mutiert sie zum Modell. Er zeichnet und malt das willen- und seelenlose Geschöpf unzählige Male. Das eindrucksvollste Zeugnis dieser Obsession ist das Bild „Frau in Blau“. Es entsteht 1919 und zeigt eine blau gekleidete Puppe auf einem Sofa. Das – ein wenig – plumpe Objekt kann die Verzweiflung des exzentrischen Malers nicht lindern. Schließlich wird er ihrer überdrüssig und setzt einen „gewaltsamen“ Befreiungsschlag: Kokoschka und Reserl zerstören das „missratene Idol der Alma Mahler“ im Rahmen eines feuchtfröhlichen Gelages. Der Kopf wird abgetrennt, der Puppen-Torso mit Rotwein besudelt. „… An jenem Abend hab’ ich die Alma ermordet“, notiert Kokoschka.
Die Dresdner Müllabfuhr entsorgt den Traum der Wiederkehr einer Geliebten. Trotz aller symbolischen Trennungsrituale bleibt Kokoschka der „echten“ Alma verbunden. Das Ende einer großen Liebe. Es ist symptomatisch für die Beziehung selbst: animalisch, zügellos, obsessiv. „Niemals zuvor habe ich so viel Krampf, so viel Hölle, so viel Paradies gekostet“, wird Alma
Weitere Kostenlose Bücher