Alter Adel rostet nicht
Freiheit. Er sagt, er wird die strafrechtliche Verfolgung einstellen, wenn ich ihm Anatole überlasse. Dieser gewissenlose Erpresser!«
Sie wand sich in Qualen. Es war noch gar nicht lange her, da hatte sie die Erpressung als Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln in den höchsten Tönen gepriesen. Aber natürlich macht eine Erpressung nur dann wirklich Freude, wenn man der Ausführende ist. Jetzt, wo es sie selbst erwischte, war die Tante griesgrämig.
Und ich für meinen Teil war auch ziemlich unfroh. Im Verlauf dieser Erzählung habe ich ja schon mehrfach meine Hochachtung vor Anatole, diesem Cuisinier ohnegleichen, bekundet, und Sie werden sich noch erinnern, wie zutiefst schockiert ich war, als die alte Anverwandte mir von Sir Watkyn Bassetts ruchlosem Versuch erzählte, während seines Besuchs in Brinkley Court Anatole vor ihren Augen abzuwerben.
Natürlich ist es kaum möglich, denen, die noch nie von den superben Kreationen dieses Kochkünstlers gekostet haben, klarzumachen, welchen Stellenwert seine Zubereitungen im Weltgefüge derjenigen besitzen, die sich schon daran delektiert haben. Ich kann nur sagen: Für jeden, der sich einmal ein von Anatole gezaubertes Gericht auf der Zunge hat zergehen lassen, verliert das Leben seinen ganzen Sinn und Reiz, wenn er auf diesen Genuß für alle Zeit verzichten soll. Die Vorstellung, daß Tante Dahlia dieses kulinarische Genie opfern wollte, nur um ihren Neffen vor dem Kittchen zu bewahren, ging mir sehr zu Herzen.
Ich weiß nicht, wann ich schon mal so gerührt war. Mit verschleiertem Blick sah ich sie an. Sie erinnerte mich stark an Gregory Peck.
»Du hast also im Ernst erwogen, meinetwegen auf Anatole zu verzichten?« fragte ich und schluckte.
»Selbstverständlich.«
»Selbstverständlich kommt das gar nicht in Frage!«
»Aber du kannst doch nicht ins Gefängnis gehen.«
»Und ob ich das kann, wenn es mir dadurch gelingt, den Maestro an deinem Herd zu halten. Du wirst auf keinen Fall auf die Forderung des alten Bassett eingehen!«
»Bertie! Ist das wirklich dein Ernst?«
»Das will ich meinen! Was sind schon dreißig Tage Knast in der Provinz? Ein Klacks! Die sitze ich doch auf einer Backe ab. Soll Bassett ruhig tun, was er nicht lassen kann. Und«, fügte ich dann verträumt hinzu, »wenn meine Zeit um ist und ich wieder ein freier Mann bin, dann soll Anatole zeigen, was er kann! Nach einem Monat bei Wasser, Brot und Grütze, oder was sie einem in so einem Etablissement sonst vorsetzen, werde ich einen Bärenhunger haben. Am Abend nach meiner Entlassung hoffe ich auf ein Diner, das in die Legenden und Gesänge eingehen wird.«
»Das sollst du haben!«
»Wir könnten die Details doch ruhig jetzt schon besprechen.«
»Gute Idee. Wie wär’s als Vorspeise mit Kaviar? Oder möchtest du lieber Melonencocktail?«
»Beides. Und danach ein schönes Süppchen.«
»Klar oder gebunden?«
»Klar.«
»Kannst du dich noch an Anatoles › Velouté aux fleurs de courgette‹ erinnern?«
»Was denkst du denn! Aber wie wär’s mit seiner › Consommé aux pommes d’amour‹?«
»Ja, die wäre vielleicht noch besser.«
»Finde ich auch.«
»Am besten stellst du mal das Menü zusammen.«
»Gerne.«
Ich nahm mir Papier und Bleistift, und nach etwa zehn Minuten lag das Endergebnis vor.
»Vorbehaltlich gewisser Ergänzungen, die ich vielleicht noch während meines Aufenthalts in der Zelle vornehmen werde«, sagte ich, »wäre das die ideale Speisenfolge.«
Sie sah folgendermaßen aus:
Le Dîner
Caviar frais
Cantaloup
Consommé aux pommes d’amour
Sylphides à la crème d’écrevisses
Mignonette de poulet petit duc
Points d’asperges a la Mistinguett
Suprême de fois gras au champagne
Neige aux perles des Alpes
Timbale de ris de veau Toulousaine
Salade d’endive et de céleri
Le plum pudding
L’étoile au berger
Bénédictins blancs
Bombe Néro
Friandises
Diablotins
Fruits
»Das wär’s wohl, Tante Dahlia, nicht wahr?«
»Ja, du scheinst an alles gedacht zu haben.«
»Dann wollen wir uns jetzt mal diesen Mann vornehmen und ihm zeigen, wo’s langgeht. Bassett!« brüllte ich.
»Bassett!« rief Tante Dahlia.
»Bassett!« donnerte ich, daß die Wände wackelten. Sie wackelten noch immer, als er angetrabt kam. Er machte ein mürrisches Gesicht.
»Was zum Kuckuck soll dieser Spektakel? Was wollen Sie denn von mir?«
»Ah, da sind Sie ja, Bassett.« Ohne langes Hin und Her kam ich zur Sache. »Bassett, wir werden
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