ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
nun Menschen sein! - Warum lachst du nicht? Wenn die Frau und alle die Gäste darüber lachen können, so kannst du es auch. Es ist ein großer Mangel, wenn man keinen Sinn für Humor hat. Nein, laßt uns nun Menschen sein!"
"O denkst du noch der schönen Mädchen, die unter dem ausgespannten Zelt bei den blühenden Bäumen tanzten!? Gedenkst du der süßen Früchte und des kühlenden Saftes in den wild wachsenden Kräutern?"
"O ja," sagte der Papagei, "aber hier habe ich es viel besser! Ich habe gutes Essen und individuelle Behandlung. Ich weiß, ich bin ein guter Kopf, und mehr verlange ich nicht. Laßt uns nun Menschen sein! Du bist eine Dichterseele, wie sie es nennen; ich habe gründliche Kenntnisse und Witz. Du hast Genie aber keine Besonnenheit. Du versteigst dich zu den höchsten Tönen und darum decken Sie dich zu. Mir bieten sie das nicht! nein! denn ich habe sie mehr gekostet! Ich halte sie mit meinem Schnabel in Schach und kann einen Witz! Witz! Witz! machen, nein, nun laßt uns Menschen sein!"
"O, mein warmes, blühendes Vaterland!" sang der Kanarienvogel. "Ich will von deinen dunkel grünenden Bäumen singen, von deinen stillen Meeresbuchten, wo die Zweige den klaren Wasserspiegel küssen, singen von dem Jubel aller meiner schimmernden Brüder und Schwestern, wo der Wüste Pflanzenquellen wachsen!"
"Hör doch auf mit den Jammertönen!" sagte der Papagei. Sage doch etwas, worüber man lachen kann! Lachen ist das Kennzeichen des erhabensten geistigen Standpunktes. Sieh, ob ein Pferd oder ein Hund lachen kann! Nein, weinen können sie, aber das Lachen ist nur den Menschen gegeben. "Ho ho ho!" lachte Papchen und fügte seinen Witz hinzu: "Nun laßt uns Menschen sein!"
Du kleiner grauer Vogel," sagte der Kanarienvogel, "Du bist auch ein Gefangener! Es ist sicherlich kalt in deinen Wäldern, aber dort ist doch Freiheit. Fliege hinaus! - Sie haben vergessen, dich Einzuschließen; das oberste Fenster steht offen. Fliege! Fliege!"
Und das tat der Schreiber. Husch! war er aus dem Bauer. In diesem Augenblick knarrte die halboffene Tür, die ins Nebenzimmer führte und geschmeidig, mit grünen, funkelnden Augen schlich die Hauskatze herein und machte auf ihn Jagd. Der Kanarienvogel flatterte in dem Bauer und der Papagei schlug mit den Flügeln und rief: "Nun laßt uns Menschen sein!" Der Schreiber fühlte den tödlichsten Schreck und flog durch das Fenster davon über Häuser und Straßen. Zuletzt mußte er sich ein wenig ausruhen. Das gegenüberliegende Haus erschien ihm heimisch. Ein Fenster stand offen, er flog hinein, es war sein eigenes Zimmer; er setzte sich auf den Tisch.
"Nun laßt uns Menschen sein!" sagte er gedankenlos, wie er es von dem Papagei gehört hatte, und im selben Augenblick war er wieder Schreiber, aber er saß auf dem Tische.
"Gott bewahre!" sagte er, wie bin ich denn hier hinauf gekommen und in Schlaf gefallen! Das war ein recht unruhiger Traum. Nichts wie dummes Zeug war die ganze Geschichte!"
6. Das Das Beste, was die Galoschen brachten.
Zeitig morgens am folgenden Tage, als der Schreiber noch im Bette lag, klopfte es an seine Tür; es war sein Nachbar aus derselben Etage, ein Student, der Pastor werden wollte. Er trat ein.
Leihe mir deine Galoschen," sagte er, "es ist so naß im Garten, aber die Sonne scheint herrlich, ich möchte eine Pfeife Tabak da unten rauchen."
Er zog die Galoschen an und war bald unten im Garten, der einen Pflaumenbaum und einen Birnenbaum enthielt. Selbst ein so kleiner Garten, wie dieser, gilt in Kopenhagen für eine große Herrlichkeit.
Der Student wanderte im Gange auf und ab. Es war erst sechs Uhr. Draußen von der Straße erklang ein Posthorn.
"O, reisen! reisen!" rief er laut, "das ist doch das größte Glück in der Welt! Das ist meiner Wünsche höchstes Ziel! Das würde die Unruhe, die mich quält, stillen. Aber weit fort müßte es sein! Ich möchte die herrliche Schweiz sehen, nach. Italien fahren und - " Es war gut, daß die Galoschen sofort wirkten, sonst würde er allzu weit herumgekommen sein sowohl für seinen Geschmack als auch für den unseren. Er reiste; er war mitten in der Schweiz aber mit acht Anderen in einer Postkutsche zusammengepackt. Er hatte Kopfschmerzen, einen steifen Nacken, und das Blut machte seine Beine schwer und geschwollen, so daß ihn die Stiefel zwickten. Er schwebte in einem Zustande zwischen Wachen und Schlafen. In seiner rechten Tasche hatte er einen
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