Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf der Spur des Hexers

Auf der Spur des Hexers

Titel: Auf der Spur des Hexers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
verleihen versuchte. Er korrigierte seine Schätzung sein Alter betreffend ein wenig nach oben. Obwohl noch Student, musste er Anfang dreißig sein.
    »Ich tue Ihnen nichts, Henry«, sagte er eindringlich. »Ich bin Ihr Freund. Ich will Ihnen helfen.«
    Der Wahnsinnige stierte ihn an. Ein wenig Speichel lief aus seinem Mundwinkel und versickerte in seinem Bart, ohne dass er es auch nur merkte. Sein Blick flackerte. Aber er hob die Hände nicht wieder, als sich Andara vorbeugte und mit der Rechten ganz behutsam seine Stirn berührte.
    »Vertrauen Sie mir«, sagte er. »Ich helfe Ihnen. Gleich ist alles vorbei. Schließen Sie die Augen.«
    Henry gehorchte, aber auch dieses Mal erst nach sehr sehr langem Zögern. In seinem Blick war ein Flehen und eine Furcht, die irgendetwas in Andara sich zusammenziehen ließ.
    Sehr sanft spreizte er die Hand, berührte mit Zeige-und Ringfinger seine geschlossenen Lider und übte mit dem Mittelfinger einen schwachen Druck auf die Stelle zwischen seinen Brauen aus, während Daumen und kleiner Finger nach Henrys Schläfen tasteten. Dann schloss er ebenfalls die Augen und konzentrierte sich.
    Es war schwer, unendlich schwer. Anders als sonst war es kein rasches, ruckhaftes Einklinken in den Geist seines Gegenübers, kein Verschmelzen von Seele und Seele, sondern ein Gefühl, als würde er in einen gewaltigen, sich rasend schnell drehenden Sog hineingezerrt, ein schwarzer Mahlstrom aus Irrsinn und lautlosen Schreien und purem Schmerz, in dem auch sein Geist sich zu fangen drohte. Einen Moment, einen winzigen, aber schrecklich endlosen Moment nur, drohte er die Kontrolle zu verlieren. Die grauen Spinnweben des Wahnsinnes griffen nun auch nach ihm, zerrten an seinem Selbst und untergruben mit jäher Plötzlichkeit die Barrieren aus Willenskraft und Stärke, die er um seinen Geist errichtet hatte. Erst im letzten Moment gelang es ihm, die geistige Verbindung wieder zu kappen und sich zurückzuziehen.
    Er versuchte kein zweites Mal, direkt in Henrys Bewusstsein einzudringen, um auf diese Weise zu erfahren, was geschehen war, sondern beschränkte sich auf das einzige, was er für diesen bemitleidenswerten Jungen zu tun imstande war: den geistigen Taifun, der in seiner Seele tobte, ein wenig zu beruhigen und die Teile seines Ichs zu lähmen, die für Schmerz und Entsetzen zuständig waren. Es war keine Hilfe auf Dauer, dessen war er sich klar. Der kurze, entsetzliche Blick, den er in seinen Geist getan hatte, hatte ihm gezeigt, dass es nichts mehr gab, was ihm helfen konnte. Andara vermochte viel, sehr viel. Er konnte Wunden heilen, Beschädigtes wieder aufbauen und Dinge vergessen lassen; ja, einen gestörten Geist sogar heilen. Aber Henrys Geist war nicht gestört. Er war vernichtet. Etwas war mit der Wucht eines Wirbelsturmes hineingefahren und hatte alles zermalmt, was an ihm jemals Mensch gewesen war. Da war nichts mehr, was zu retten, wieder aufzubauen oder zu heilen gewesen wäre. Das wimmernde Bündel vor ihm war auf ein reines Lebewesen reduziert worden; eine Ansammlung möglicherweise noch immer perfekt funktionierender Organe und Nervenverbindungen, in der jedoch der göttliche Funke, der den Mensch über das Tier erhob, erloschen war. Endgültig.
    Aber Andara hatte trotzdem erfahren, was er erfahren wollte, wenn auch nur in Bruchstücken. In jenem kurzen Moment hatte er nicht nur den Wahnsinn erblickt, sondern auch Bilder von schrecklicher Realität; Bruchstücke nur, einzeln dastehend und ohne scheinbaren Zusammenhang, aber er wusste nur zu gut, dass es nicht nur die Schreckensbilder seiner eigenen Phantasie waren, die Henry peinigten.
    Was er gesehen hatte, hatte irgendetwas in ihm wie mit eisigen Fingern berührt und zum Erschauern gebracht: Bilder von dunklen, grotesk verzerrten Wesen, boshafte Karikaturen menschlicher Wesen, die sich hopsend und hüpfend vorwärts bewegten und unnatürliche Laute ausstießen. Schreckensgebilde, die nicht sein durften und doch waren, entsetzliche Ungeheuer, wie sie sich keine menschliche Phantasie ersinnen konnte, und dem Menschen doch ähnlich, vielleicht gerade deshalb so entsetzlich.
    Und auf grauenerregende Weise waren sie ihm vertraut.
    Er hatte niemals Wesenheiten solcher Art gesehen, noch von ihnen gehört, und doch berührten die Bilder irgendetwas in ihm, ließen ein Gefühl entsetzlich sicheren Wiedererkennens in ihm aufsteigen, das auf seine Art beinahe schlimmer als der bloße Anblick der Kreaturen war.
    Mühsam scheuchte er die

Weitere Kostenlose Bücher