Aussicht auf Sternschnuppen
Er hatte sich rasiert. Und fast hätte ich ihn nicht erkannt. Er sah so seriös aus.
„Na, wie findest du es?“, fragte Nils und strich sich ein wenig unbehaglich über seinen nicht mehr vorhandenen Bart. „Ich fühle mich nackt. Sehe ich schwul aus?“
„Nein, überhaupt nicht. Du siehst gut aus, wirklich. Nur gar nicht mehr wie du selbst. Eher wie ein Immobilienmakler.“
Nils sah mich belustigt an. „Ich hätte nicht fragen sollen.“
Er hielt mir die Hand hin und zusammen wollten wir gerade das Zimmer verlassen, als sein Handy klingelte. Ich vertiefte mich in die Mappe mit den Hotelinformationen.
Nils warf einen Blick auf das Display. „Was gibt’s?“, fragte er knapp und nicht sonderlich freundlich. „ Ja, ich denke an Vronis Geburtstag. Wann ist er? … Aber da bin ich noch in Italien. … Gut, ich werde sehen, was sich machen lässt. Wenn ich das Wochenende nicht drehen muss, setze ich mich in den Flieger und komme. … Ja, ich trage das Datum gleich in meinen Terminkalender ein. … Bis dann.“ Er legte auf und seufzte. „Meine Mutter. Seit Wochen nervt sie mich mit dem Geburtstag von Veronika Hartmann.“
„Veronika Hartmann? Die Schauspielerin?“
„Ja, sie feiert ihren Geburtstag dieses Jahr ganz groß. Es ist ein runder und lauter wichtige Leute sind eingeladen, unter anderem ein Bekannter von meiner Mutter, der einen dreiteiligen Spielfilm für SAT 1 produziert. Sie will unbedingt, dass ich darin eine Hauptrolle ergattere.“ Er rollte die Augen. „Der Dreiteiler spielt im alten Rom. Kannst du dir mich in Sandalen vorstellen?“
„Russel Crowe sah in Gladiator jedenfalls gut aus“, versuchte ich zu witzeln, doch mein Mund war trocken geworden.
Ich stellte mir vor, wie ich mit Nils zusammen in einem schicken Restaurant saß, um den Geburtstag von Veronika Hartmann, einer der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen zu feiern, und dabei munter mit anderen Damen aus der Film- und Fernsehwelt plauderte.
Die Vorstellung war absurd! Wir passten einfach nicht zusammen. Seine Welt würde immer eine Nummer zu groß für mich sein.
Der Frühstücksraum des Hotels hatte die Größe eines Ballsaals. Und das Essen wäre bestimmt ausgezeichnet gewesen war, hätte der Stein in meinem Magen noch Platz dafür gelassen.
Nils schienen mein fehlender Appetit und meine Schweigsamkeit nicht aufzufallen. Er hatte sich den Teller mit Croissants, Marmelade, Rührei und Speck vollgeladen und widmete sich mit ganzer Aufmerksamkeit seinem Frühstück. Erst als er beim Hinausgehen den Arm um mich legte und ich mich stocksteif machte, fragte er: „Ist etwas mit dir?“
„Nein“, meinte ich und er gab sich mit dieser Erklärung zufrieden.
In der großen Eingangshalle blieb Nils unentschlossen stehen. Er schien ebenso wenig wie ich zu wissen, wie es an dieser Stelle mit uns weitergehen sollte.
„Willst du noch in Viareggio bleiben oder möchtest du lieber woanders hinfahren?“
„Ich möchte fahren.“
„Dann packe ich meine Sachen und bezahle die Zimmer.“
„Das wäre toll.“ Meine Stimme klang belegt.
„Hättest du mir gestern Abend gleich gesagt, dass du nicht abgeneigt bist, die Nacht mit mir zu verbringen, hätte ich mir ein Zimmer sparen können“, versuchte Nils die beklemmende Stimmung zwischen uns aufzulockern.
Ich lächelte verkrampft. „Du wolltest doch unbedingt damit protzen, dass du dir locker zwei Hotelzimmer leisten kannst.“
„Stimmt.“ Nils legte seine Hände um meine Taille. „Schön, dass du mir die Gelegenheit dazu gegeben hast.“ Er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste mich auf den Mund.
Fast wäre ich wieder schwach geworden. Doch ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen und machte mich von ihm los.
„Ich muss mal wohin.“
Die Toiletten im Grand-Hotel waren genauso bombastisch wie der Rest des Hauses. Orchideen, vergoldete Wasserhähne und überall Marmor. Lediglich der tropfende Wasserhahn störte ein wenig.
Nachdem ich auf einem terracottafarbenen Toilettendeckel Platz genommen hatte, wählte ich Giuseppes Nummer und stellte fest, dass mein Herzschlag in genau dem gleichen Rhythmus schlug, wie der Wasserhahn tropfte.
„Pronto.“
„Ich bin’s.“
„Cara?“ Giuseppe hörte sich überrascht an. Anscheinend hatte er nicht auf das Display geschaut.
„Ja.“
„Wieso rufst du an? Ist etwas? Wir wollten doch erst heute Abend telefonieren.“
„Ich hatte aber jetzt Sehnsucht nach dir. Wo bist du gerade?“
Giuseppe
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