Balla Balla
Plotek, was braucht er nicht zu wissen? Haben wir jetzt auch schon ein kleines Geheimnis zusammen? Wo das wohl enden wird, dachte er und merkte, wie das Hemd am Rücken festzukleben begann.
»Wir sind da«, sagte Maike und hielt an, »du kannst aussteigen. «
11
»Der Herr ist gütig. Das Leben geht weiter. Im Himmel und auf Erden. Es ist unsere Erfahrung im Glauben, dass wir in jeder Lebenslage, auch in einer traurigen, leidvollen wie der jetzigen, mit unserem Herrn rechnen können. Er ist da. Wir müssen unseren Halt nicht in uns selbst suchen, sondern in ihm. Er ist unser Halt.«
Der hagere Pfarrer mit der langen, schönen Nase und der akkuraten Scheitelfrisur stand neben den Särgen und wog die Worte ab wie ein Pfund Kartoffeln. Die Särge standen neben den ausgehobenen Gräbern, als wären sie überdimensionale Bananenkisten. Und dahinter standen Hunderte von Trauernden. Auch Plotek. Dazwischen saß ein junger Mann ausdruckslos und ungerührt im Rollstuhl, der den Anschein erweckte, als hätte er ganz viel gemein mit den beiden toten Superkickern. Der einzige Unterschied schien zu sein, dass die beiden im Sarg lagen und er im Rollstuhl saß. Zumindest wirkte der junge Mann mit dem verstörten, starren Blick im Rollstuhl so. Leblos, leer, tot. Hinter dem Rollstuhl stand Schwester Sieglinde. Sie trug ein enges schwarzes Kostüm, einen schwarzen Rollkragenpullover, schwarze Strümpfe und hatte die schwarz gefärbten Haare streng hochgesteckt. Jetzt also kein weißer Engel, sondern ein schwarzer, dachte Plotek. Das war also Ritschi, der Halbbruder von Sieglinde, über den Maike nicht reden wollte. Plotek lächelte der Schwester dezent zu. Die lächelte verlegen zurück, während
Plotek den Eindruck nicht loswurde, dass ihr die Begegnung auf dem Friedhof unangenehm war. Neben Ritschi und Sieglinde standen Wenny und Maike, an deren Arm ein junger blonder, gut aussehender Mann mit bestens sitzendem schwarzen Anzug hing, ein Bein eingegipst.
Das ist also Benny van der Tal, dachte Plotek und exekutierte den Mann mit seinen Blicken. »Amen!«, sagten in diesem Moment alle Trauernden.
Nur Plotek nicht. Der dachte, Blödsinn, der Herr ist überhaupt nicht gütig und zählen kann man auch nicht auf ihn. Zumindest nicht so, wie man das gern würde. Oder ist der Tsunami vielleicht eine Spielart von Gütigkeit? Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hochwasser und alles? Das ist Zynismus, nicht von Gott, dachte Plotek, wenn es ihn denn überhaupt gibt, sondern von seinen Vertretern auf Erden, die nicht anerkennen wollen, dass das Leben so ist, wie es ist: brutal, hinterhältig und zynisch. Und nur ganz selten ein Heidenspaß. Meistens dagegen eine göttliche Offenbarung der umgeknickten Bäume, überschwemmten Landstriche und unzähligen Leichen.
Amen, dachte Plotek und sah wieder zu Schwester Sieglinde hinüber, die ihrem Halbbruder gerade mit einem Taschentuch den sabbernden Mund abwischte, während Maike den blonden Benny an sich zog, sodass der auf seinem Gipsbein ins Wanken geriet. Wenny quittierte Bennys Ringen ums Gleichgewicht mit einem bösen Blick, während Plotek ihn schon kopfüber im Grab liegen sah. Thomas Häßler fiel ihm ein: Eine Drehung mehr und ich wäre im Rasen verschwunden.
Plotek war weder wissenschaftsgläubig noch der Religion verfallen. Plotek glaubte eigentlich an gar nichts. Heute zumindest. Früher dagegen schon. Früher war er Ministrant und mindestens zweimal in der Woche in der Kirche. Der
ewig lüsterne Pfarrer Thanwälder mit seinem schlechtriechenden Atem und den unruhigen Fingern hatte ihn aber, wie Jesus die Händler, aus der Kirche getrieben. Heute war ihm das Jenseits egal. Heute glaubte er nur noch an Unertl-Weißbier , Tequila und einen Spielzug der Jungs aus Freiburg.
Jetzt erst fiel Plotek auf, dass bei der Doppelbeerdigung nicht nur das gemeine Volk vertreten war, sondern sich auch regionale und überregionale Prominenz die Beine in den Bauch stand. Da war der Dosensuppenhersteller Stadelmaier, der Starreporter Rainer von Plorre, der Präsident der SpVg Altona-Nord und auch der vom Hamburger SV, der Oberbürgermeister, ein bekannter Tagesschausprecher und viele Trauergäste aus der Glitzer-, Star- und Medienwelt.
Die nutzten natürlich den Anlass nicht ganz selbstlos, um sich der Öffentlichkeit auch mal von ihrer sentimentalen Seite zu zeigen, tief bewegt, traurig und mit frömmelnder Anteilnahme. Überall waren gut sitzende Designer-Kostümchen zu sehen, großzügige Dekolletes
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