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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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frische Luft strömt angenehm warm herein. Sie scheint eine Ahnung vom Sommer mitzubringen.
    »Insgesamt sind wir doch noch eine recht annehmbare und interessante Familie geworden«, meint Richard und lehnt sich lächelnd in seinem Stuhl zurück. »Ein höchst interessantes schwäbisch-jüdisch-marokkanisches Gemisch«, und sein Blick bleibt liebevoll an seinem Sohn hängen.
     
    Der Abschied ist ein bisschen zu laut und aufgesetzt fröhlich, wie immer, wenn Menschen versuchen ihre Rührung zu unterdrücken. Bloß nicht sentimental werden, ermahnt sich Anna, aber es fällt ihr schwerer, als sie gedacht hat. Richard und Christine steigen schon taktvoll ins Auto und so kann sie ungestört Fritz auf Wiedersehen sagen.
    »Wenn du im Sommer wiederkommst, binde ich dir eine alte Milchkanne um den Bauch und dann gehen wir hinauf in den Wald, zum Katzenbuckel. Und wir pflücken Heidelbeeren. Mal sehen, wie dir das gefällt. Es ist eine ziemlich eintönige Tätigkeit, das kann ich dir verraten. Johannes hat mich manchmal mitgenommen, als ich ein kleiner Junge war, und ich hab mich schon nach kurzer Zeit schrecklich gelangweilt«, flüstert Fritz ihr ins Ohr. »Weißt du, was ich manchmal gemacht hab? Ich hab mein Eimerchen mit Moos gefüllt und obendrauf fein säuberlich eine Schicht Heidelbeeren verteilt. ›Schau, Johannes, ich bin schon fertig‹, hab ich gesagt, ›komm, lass uns gehen.‹ Er hat dann schallend gelacht.«
    »So einer bist du also.« Sie grinst und stupst ihn zärtlich mit der Nase. »Gut, dass ich das weiß. Und was hat Johannes dann gemacht? Ihr seid doch nicht wirklich heimgegangen?«
    »Natürlich nicht. Johannes hat mir Geschichten erzählt, stundenlang, bis er seinen Eimer gefüllt hatte.«
    Fritz hat sie dann noch einmal fest an sich gedrückt und ihr ins Ohr geflüstert: »Wir telefonieren, hörst du. Bitte meld dich gleich, wenn du in Berlin angekommen bist.«
    Das hat Anna ihm versprochen. »Ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit, Fritz, das verstehst du doch, oder? Noch ein bisschen Zeit – davon haben wir doch reichlich.«
     
    Später liegt sie lange schlaflos im Bett. Von unten hört man das rhythmische Schnarchen von Gretl. Wie vertraut mir das alles in dieser kurzen Zeit geworden ist, denkt sie. Eine Frage beschäftigt sie immer noch und sie muss darüber nachdenken, was Richard und Christine ihr erzählt haben. Für Johannes schien es ganz selbstverständlich gewesen zu sein, dass er und Marie die Kleine aufziehen, ihre Mutter, Annas Tochter. Das sei für Marie sehr wichtig gewesen, habe ihr Halt gegeben nach dem Tod von Anna und sie habe noch einmal alle Kräfte mobilisiert, um dieses Kind großzuziehen. Hat Friedrich das einfach so zugelassen? Sie war doch seine Tochter! Und er war einsam geworden. Warum hat er nicht um sie gekämpft? Oder gab er der kleinen Marie die Schuld an Annas Tod? Richard und Christine glauben das nicht.
    »Es war etwas anderes«, hat Christine gemeint. »Emma hat oft davon gesprochen. Sie waren bei Annas Beerdigung gewesen, hatten etwas abseits gestanden, und sie hatte ihn dann gedrängt: ›Los, geh hin zu ihnen. Jetzt ist der Moment gekommen. Denk an das Kind, das verbindet euch mehr als alles andere.‹ Aber Friedrich hatte sich nicht getraut. In Maries Augen hätten so viel Leid und so viel Hass gelegen, Hass auf ihn, der ihr nun auch die Tochter genommen hatte. Das konnte er nicht ertragen. Er war froh, dass Johannes das Angebot angenommen hatte, für Marie finanziell zu sorgen. ›Aber mehr kann und will ich nicht tun, Emma. Ich bin zu alt. Ich will mein Herz nie wieder an jemanden hängen. Ich könnte es nicht ertragen, sie auch zu verlieren.‹ Dann hat er Emma eine sehr berührende Geschichte erzählt. Und sie passt, finde ich, ganz gut. Der alte Löwenstein sei einmal bei einem Besuch auf einen griechischen König zu sprechen gekommen. Alles, was der anfasste, wurde zu purem Gold. Sagenhaft reich sei dieser König gewesen. Aber eines Tages wollte er seinen Sohn anfassen, ihn umarmen, und dann wurde dieser Sohn auch zu Gold, zu kaltem, leblosem Gold. ›Genau so ist es mir im Leben auch ergangen, Emma! Immer muss ich an diesen König denken.‹ Und dann hat er noch den Fluch seines Schwiegervaters erwähnt. Emma konnte sich nie einen Reim darauf machen. Aber eines war klar, Johannes und Marie sollten die Kleine aufziehen.«
    Anna hat das verstanden. Und sie hat in diesem Moment tiefes Mitleid mit ihrem Großvater verspürt – trotz aller Fehler,

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