Bis dein Zorn sich legt
selbst darin. Verzerrt. Wie in einem Zerrspiegel in einem Vergnügungspark. Das Bild verändert sich. Wenn ich einatme, sehe ich die Person dort oben, wenn ich ausatme, sehe ich mich selbst.
Dann vereist der Atemregler. Die Luft spritzt aus dem Mundstück. Ich höre auf zu schwimmen, bin vollauf mit dem Versuch zu atmen beschäftigt. Der Schlauch leert sich in zwei Minuten.
Und dann ist Schluss. Meine Lunge droht zu bersten und saugt Luft. Ich will kein Wasser einatmen. Ich berste.
Ich fuchtele mit den Armen. Schlage vergeblich gegen das Eis. Das Letzte, was ich im Leben tue, ist, Atemregler und Tauchermaske wegzureißen. Dann sterbe ich. Zwischen mir und dem Eis gibt es jetzt keine Luft. Kein Spiegelbild meiner selbst. Meine Augen im Wasser sind offen. Jetzt sehe ich die Person dort oben.
Ein Gesicht, das sich gegen das Eis presst und mich ansieht. Aber ich verstehe nicht, was ich sehe. Mein Bewusstsein zieht sich zurück wie die Tide.
Donnerstag, 16. April
ÖSTEN MARJAVVARA SCHLUG in seiner Hütte in Pirttilahti um Viertel nach drei Uhr nachts die Augen auf. Das Licht hatte ihn geweckt. Jetzt, Ende April, wurde es ja nur wenige Stunden richtig dunkel. Es half auch nicht viel, die Jalousien herunterzulassen. Das Licht drang zwischen den Lamellen hindurch, schob seine dünnen Fäden durch die Löcher, in denen die Schnüre verliefen, strömte durch den Spalt zwischen Jalousie und Fensterrahmen. Selbst wenn er die Fenster mit Brettern verrammelt hätte, ja, selbst wenn er in einem fensterlosen Raum geschlafen hätte, wäre er aufgewacht. Das Licht war dort draußen. Zog und zupfte an ihm. Schwach und rastlos, wie eine einsame Frau. Da konnte er auch gleich aufstehen und Kaffee kochen.
Er stand auf und zog die Jalousien hoch. Der Boden unter seinen nackten Fußsohlen war eiskalt. Das Thermometer vor dem Fenster zeigte zwei Grad minus. Abends und nachts hatte es geschneit. Die Schneekruste, die sich nach dem milden, mit Schneeregen vermischten Wetter der vorigen Woche in zwei Tagen gebildet hatte, war jetzt noch fester geworden, er würde über den Harsch auf Skiern am Torneälv nach Tervaskoski hochlaufen können. Dort in den Stromschnellen standen sicher Äschen und warteten hinter irgendeinem Stein.
Als das Feuer im Herd ordentlich brannte, nahm er den roten Plastikeimer, der in der Diele stand, und ging zum Fluss hinunter, um Wasser zu holen. Es waren nur wenige Meter zum Ufer, aber er ging vorsichtig, unter dem Neuschnee gab es viele tückische Eisstellen, man konnte da leicht einen üblen Sturz hinlegen.
Die Sonne wartete dicht unter dem Horizont und malte rotgoldene Streifen auf den kalten Winterhimmel. Bald würde sie sich über den Fichtenwald heben und auf die roten, quer liegenden Bretter der Hütte glühen.
Der Schnee lag wie ein Flüstern der Natur über dem Fluss. Pst, sagte er, sei leise. Jetzt gibt es nur noch dich und mich.
Er horchte, blieb mit dem Eimer in der Hand ganz still stehen und schaute auf den Fluss hinaus. Es stimmte. Nie gehört einem die ganze Welt so wie dann, wenn man vor allen anderen aufgewacht ist. An beiden Flussufern lagen einige wenige Hütten, aber nur auf seiner qualmte der Schornstein. Vermutlich waren die Besitzer der anderen gar nicht da. Sie saßen sicher zu Hause in der Stadt, die armen Teufel.
Am Ende des Stegs lag das Wasserloch, das er ins Eis gesägt hatte. Eine Klappe aus Styropor bedeckte es, damit es nicht wieder zufror. Er wischte Schnee von dem Deckel und hob ihn an. Wenn Barbro dabei war, nahmen sie Wasser aus der Stadt mit zur Hütte. Sie weigerte sich, das Wasser aus dem Fluss zu trinken.
»Hu«, machte sie dann immer und zog schaudernd die Schultern bis an die Ohren. »Der ganze Dreck aus sämtlichen Dörfern weiter flussaufwärts.«
Früher hatte sie oft über das Krankenhaus von Vittangi gesprochen, Was für ein Glück es doch immerhin sei, dass sie flussauf davon wohnten. Dass es dort keinerlei Kläranlagen oder so etwas gebe. Sicher wurden da auch herausgenommene Blinddärme und Gott weiß was reingekippt.
»Blödsinn«, sagte er dann, wie schon Hunderte von Malen. »Ammenmärchen.«
Er hatte das Wasser hier bereits als Kind getrunken, und er war gesünder als sie.
Er ging in die Hocke, um den Eimer ins Wasser zu drücken. Am Griff des Eimers war ein Seil befestigt, deshalb konnte er ihn versenken und sich mit Wasser füllen lassen, ehe er ihn wieder hochzog.
Aber der Eimer ließ sich nicht eintauchen. Etwas lag im Weg, genau unter der
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