Blutsterne - Teile 1 + 2
auf dem Passierschein tatsächlich gemerkt.
Alle lächelten höflich. Die Einführung durch den Oberst war augenscheinlich ein ausreichender Vertrauensvorschuss.
„Das sollten wir vielleicht auch da lassen?“, schlug ich scherzhaft vor.
„Es würden nur bittere Geschichten auf Sie warten, die diesen schönen Abend verderben.“
Die Gäste hätten zwar gern mehr erfahren, fanden sich aber höflich damit ab. In diesen Zeiten gab es genug traurige Geschehnisse. Jeder der Anwesenden hatte sicher genug eigene schmerzliche Erfahrungen.
„Nun denn“, entschied mein Gastgeber, „lassen Sie uns speisen und trinken. Selbst dieses Vergnügen kann heutzutage schnell wieder enden!“
Alle nickten mit ernsten Gesichtern.
Der Kellner nahm unsere Bestellungen entgegen.
Die Speisekarte war recht spärlich. Es gab gebratene Eier mit Kohl, in Öl geschmorte Kartoffeln, Gurken sowie Quarkpelmeni mit Mus gefüllt und geschmolzener Butter übergossen.
Ich aß nur wenig, da die Gefahr bestand, dass mir die gekochten Speisen nicht bekamen. Im Wald waren diese nur roh gewesen.
Der Wein tat besonders gut. Das alte Blut zirkulierte schneller und schuf so die Illusion einer inneren Wärme.
Schnell kam das Gespräch auf die aktuellen Ereignisse.
„Weiß man schon Näheres über den Mord?“, fragte die Tochter des Hoteliers nach einiger Zeit. Alle wussten welcher gemeint war. Die tschechischen Offiziere erschienen ihr als sichere Quelle für eine korrekte Information.
Ich zitterte aufgeregt und wagte nicht aufzusehen, doch niemand bemerkte es.
„Der Bürger Gorschkow hat sich direkt bei unserem Eintreffen an uns gewandt und erste Einzelheiten preisgegeben“, begann mein Gastgeber die Frauen aufzuklären.
„Zuerst erschien uns das zu ungeheuerlich, doch bei den Roten musste man ja mit allem rechnen. Er hatte vom Gerichtsbeamten Tomaschewski gehört, dass die gesamte Zarenfamilie im Ipatjew-Haus angeblich ermordet worden war. Es ging aber ebenso das Gerücht um, man habe den Zaren und seine Familie noch nach Perm verlegt. Die Bahnlinie war aber längst in unserer Hand. Das war also falsch.
Meine Kompanie wurde deswegen beauftragt, gleich das Ipatjew-Haus zu sichern. Wir versuchten so schnell wie möglich dorthin zu gelangen. Mit etwas Glück würde uns ere Einheit eventuell noch Mitglieder der Familie lebend antreffen. Wir kamen jedoch zu spät. Laut Gorschkow wurde die gesamte Familie im Keller gemeuchelt. Eigenartigerweise fanden sich jedoch kaum Spuren des angeblichen Massakers in dem Kellerraum. Nur wenige Einschläge von Kugeln und auch kaum Blutspritzer waren dort zu finden. Eine Hinrichtung von mehreren Personen hätte mehr Spuren hinterlassen sollen.“
„Hat er also gelogen?“, wollte die kesse und neugierige Fragerin wissen.
Der Gefragte saugte nachdenklich an seiner Zigarette.
„Das kann man nicht mit Gewissheit behaupten. Passiert ist dort irgendetwas. Aber die Roten waren wohl sehr gründlich in der Vertuschung der Spuren ihrer Schandtat. Wir haben bisher keine Leichen gefunden und tappen deswegen noch im Dunklen. Wir lassen inzwischen das gesamte Grundstück und die Umgebung genau absuchen. Einige Nachbarn wollen Schüsse gehört und später gesehen haben, dass Leichen auf einen LKW geladen wurden.
Leider haben wir im Moment keine anderen Zeugen. Die mei sten Roten und ein Großteil der Wachleute haben sich davongemacht und sind wohl im letzen Moment durch unseren Ring geschlüpft. Unser General hat nun den Hauptmann Malinowski und den Richter Namjotkin als Fahnder eingesetzt. Da nicht alle Roten durch den Ring geschlüpft sind, finden wir vielleicht noch ein paar von den Mördern. Wir durchkämmen zurzeit jedes Haus und gehen jedem Hinweis nach.“
„Mögen sie zumindest ein Kind der Zarenfamilie lebendig finden!“, rief die rothaarige Freundin von der Tochter des Hotelbesitzers. Sie hieß Nastja. Ihr Engagement machte sie sympathisch.
„Die Chancen dürften leider gering sein. Wir haben heute erfahren, dass die Roten kurz nach den Ereignissen hier alle anderen lebenden Verwandten der Romanows, egal ob Kind oder Greis, ermordet haben. Das hatte also System und zeigt, dass die Banditen auch nicht vor der Ermordung von Kindern zurückschrecken.“
Nastja hielt sich entsetzt die Hände vor den Mund. Da sie selbst sehr jung war, ging ihr der Mord an Kindern sehr nahe.
„Was für ein Verbrechen! Wer ermordet denn unschuldige Kinder? Was sind das für Menschen? Der Zarewitsch war doch erst dreizehn
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