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Cap San Diego

Cap San Diego

Titel: Cap San Diego Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Dierssen
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    Cap San Diego
     
    Ich bin Science-Fiction-Autor. Ich verkaufe Träume.
    Mein Leben ist ein Traum.
    - Philip K. Dick, Valis
     
     
    Der Kopf von Sascha Lobo erinnert mich in seiner runden Nacktheit an einen Peyote-Kaktus. Die rote Frisur an die flammende, dunkle Kakteenblüte. Sascha Lobos ebenmäßige Kopfhaut ist hell wie eine Zuchtperle, wie das saftige Fleisch der Kaktee.
    Dass ich ausgerechnet jetzt an Peyote denke, ist kein Zufall. Ich habe um fünfzehn Uhr etwas Meskalin genommen und mich vor der Abendveranstaltung in der Hotelbadewanne entspannt und einen Bund Trockenblumen betrachtet. Die Wirkung des Meskalins hat mit dem Sonnenuntergang leider etwas nachgelassen. Bis auf rhythmisch pulsierende Nachbilder ist fast nichts mehr zu spüren.
    Hamburg, Hafen-City, Spätsommer. Siebzig andere Autoren, Verleger, Lektoren, Praktikanten, Studenten mit Schnittchenplatten und ich in der schwach beleuchteten Lounge der Cap San Diego, eines ausrangierten Ozeankreuzers, der seit Jahren, Jahrzehnten, nicht mehr das offene Meer gesehen hatte. Wir knabbern an Häppchen, trinken schlecht gezapftes Bier, stoßen auf das gelungene Ende des Literaturfestivals an, ein letztes säuerliches Aufstoßen nach der Party, ein Absacker und dann hoffentlich Schluss.
    Nur eine kurze Party ist eine gute Party, sagt Michel Houellebecq. Ich muss ihm damit Recht geben. Mein Name ist Eberhard Distel. Ich bin Science-Fiction-Autor. Sie kennen mich, wenn auch nur flüchtig. Sie haben sich im Buchhandel bereits an dicken Stapeln von „ Die Weltenwächter “ vorbeigeschlichen und sich gefragt, wer das wohl kauft. Am „ Zorn der Weltenwächter .“ An der „ Rache der Weltenwächter “. An den „ Erben der Weltenwächter “. Den „ Chroniken der Weltenwächter “. Den „ Letzten der Weltenwächter “.
    Setzen Sie die Reihe ruhig in Gedanken fort. Keine Lust? Ich auch nicht. Seit drei Jahren habe ich kein einziges Wort mehr geschrieben.
    Ich kann einfach nicht mehr. Kein einziges Wort.
    Die Weltenwächter haben mich fertig gemacht. Sie haben mein Leben in den letzten Jahren so schnell und gründlich zerstört, wie sie es in den späten Neunzigern aufgebaut hatten. Sie haben mich von einem hoffnungsvollen Jungautor zu einem der vielversprechendsten Talente der deutschen Science-Fiction-Szene gemacht, meinen Weg geebnet, eine gutplanierte Straße, die erst bergauf und dann kontinuierlich abwärts führte, und dabei haben die Weltenwächter kompromisslos alles plattgewalzt, was sich ihnen in den Weg stellte. Ich lebe inzwischen allein, allein mit fünfundsiebzig Regalmetern Literatur, Weltenwächter -Sekundärwerken, Übersetzungen, Sammelbänden, Sonderausgaben, Clubeditionen, Vorabdrucken, Nachdrucken, Fehldrucken, neunzehn nationalen und elf (11!) internationalen Auszeichnungen und einem guten Dutzend Umzugskartons voller Belegexemplare. (Sogar den Hund hätten die Weltenwächter irgendwie beiseite geschafft, wenn Claudia ihn nach der Scheidung nicht mitgenommen hätte.)
    Einskommafünfmillionen Weltenwächter . Ich verkaufe sie, ohne einen Finger dafür krumm zu machen, ohne ein weiteres Wort zu schreiben, verkaufe sie im Schlaf, im Schlaf in der Badewanne, im marihuanaschweren Schlaf in der Badewanne in einem zu großen, zu leeren Haus in Wanne-Eickel, Blick auf die Künstlerzeche, doppelt verglaste Fenster, schalldicht, draußen hört keiner, wenn drinnen einer schreit.
    Die Weltenwächter kontrollieren mein Leben, sie haben seit zehn Jahren jeder anderen Geschichte nach zehn oder fünfzehn Seiten den Saft abgedreht. Sie bezahlen meine Rechnungen. Ich habe kein einziges Wort veröffentlicht, das nicht den Weltenwächtern gehört.
     
    Die Partyluft im Bauch des Schiffes schmeckt nach Hamburger Hafen, nach Großstadtleben, nach dem duftenden Papier von Buchhandlungen.
    „Noch ein Bier oder einen Wein, Herr Distel?“
    Das Mädchen an der Bar hat sicher nie eins meiner Bücher gelesen. Frauen können mit Science-Fiction nichts anfangen. Aber sie weiß, dass sie höflich gegenüber einem Schriftsteller wie mir sein muss. Aus den Augenwinkeln sieht sie aus wie Claudia.
    Ich nehme ein Bier und einen Weißwein.
    Ein Problem – eins meiner vielen, klammern wir die Drogen einfach aus - ist: Ich kann nicht aufhören, die Weltenwächter zu verkaufen. Selbst wenn ich sterbe, werden sie sich weiterverkaufen. Dann erst Recht. Es gibt kein Entkommen. Ich bin siebenundvierzig Jahre alt, glücklich verheiratet, einvernehmlich und zügig

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