Cécile
Hexentanzplatz bleibt. Da sind sie zu Haus, das ist ihr Ur- und Quellgebiet. Allen Ernstes, die Landschaft ist hier so gesättigt mit derlei Stoff, daß die Sache schließlich eine reelle Gewalt über uns gewinnt, und was mich persönlich angeht, nun, so darf ich nicht verschweigen: als ich neulich, die Mondsichel am Himmel, das im Schatten liegende Bodetal passierte, war mir's, als ob hinter jedem Erlenstamm eine Hexe hervorsähe.«
»Hübsch oder häßlich?« fragte Rosa. »Nehmen Sie sich in acht, Herr von Gordon. In Ihrem Hexenspuk spukt etwas vor. Das sind die inneren Stimmen.«
»Oh, Sie wollen mir bange machen. Aber Sie vergessen, meine Gnädigste, wo das Übel liegt, liegt in der Regel auch die Heilung, und ich kenne Gott sei Dank kein Stück Land, wo, bei drohendsten Gefahren, zugleich soviel Rettungen vorkämen wie gerade hier. Und immer siegt die Tugend, und der Böse hat das Nachsehen. Sie werden vielleicht vom ›Mägdesprung‹ gehört haben? Aber wozu so weit in die Ferne schweifen! Eben hier, in unsrer nächsten Nähe, haben wir ein solches Rettungsterrain, eine solche beglaubigte Zufluchtsstätte. Sehen Sie dort« (und er wandte sich nach rückwärts) »den Roßtrapp-Felsen? Die Geschichte seines Namens wird Ihnen kein Geheimnis sein. Eine tugendhafte Prinzessin zu Pferde, von einem dito berittenen, aber untugendhaften Ritter verfolgt, setzte voll Todesangst über das Bodetal fort, und siehe da, wo sie glücklich landete, wo der Pferdehuf aufschlug, haben wir die Roßtrappe. Sie sehen an diesem einen Beispiele, wie recht ich mit meinem Satze hatte: wo die Gefahr liegt, liegt auch die Rettung.«
»Ich kann Ihr Beispiel nicht gelten lassen«, lachte Rosa. »Zum mindesten beweist es ein gut Teil weniger, als Sie glauben. Es macht eben einen Unterschied, ob ein gefährlicher Ritter eine schöne Prinzessin oder ob umgekehrt eine gefährlich-schöne Prinzessin...«
»Was dem einen recht ist, ist dem andern billig.«
»Oh, nicht doch, Herr von Gordon, nicht doch. Einem armen Mädchen, Prinzessin oder nicht, wird immer geholfen, da tut der Himmel seine Wunder, interveniert in Gnaden und trägt das Roß, als ob es ein Flügelroß wäre, glücklich über das Bodetal hin. Aber wenn ein Ritter und Kavalier von einer gefährlich-schönen Prinzessin oder auch nur von einer gefährlich-schönen Hexe, was mitunter zusammenfällt, verfolgt wird, da tut der Himmel gar nichts und ruft nur sein aide toi même herunter. Und hat auch recht. Denn die Kavaliere gehören zum starken Geschlecht und haben die Pflicht, sich selber zu helfen.«
St. Arnaud applaudierte der Malerin, und selbst Cécile, die, beim Beginn des Wortgefechts, ein leises Unbehagen nicht unterdrücken konnte, hatte sich, als ihr das harmlos Unbeabsichtigte dieser kleinen Pikanterien zur Gewißheit geworden war, ihrer allerbesten Laune rückhaltslos hingegeben. Selbst der säuerlich schlechte Kaffee, mit der allerorten im Harz als Sahne geltenden häßlichen Milchhaut, erwies sich außerstande, diese gute Laune zu verscheuchen, und bestimmte sie nur, behufs leidlicher Balancierung des Übels, um Sodawasser zu bitten, was freilich, weil es multrig war, seines Zweckes ebenfalls verfehlte.
»Die Roßtrappen-Prinzessin«, sagte der Oberst, »wenn sie sich nach dem Sprunge hat restaurieren wollen, hat es hoffentlich besser getroffen als wir. Aber« (und er verneigte sich bei diesen Worten gegen Rosa) »wir haben dafür etwas anderes vor ihr voraus, eine liebenswürdige Bekanntschaft, die wir anknüpfen durften.«
»Und die sich hoffentlich fortsetzt«, fügte Cécile mit großer Freundlichkeit hinzu. »Dürfen wir hoffen, Sie morgen an der Table d'hôte zu treffen?«
»Ich habe vor, meine gnädigste Frau, mich morgen in Quedlinburg umzutun, und möchte mein Reiseprogramm gern innehalten. Aber es würde mich glücklich machen, mich Ihnen für diesen Nachmittag anschließen zu dürfen und dann später vielleicht auf dem Heimwege.«
Dieser Heimweg wurde denn auch bald danach beschlossen, und zwar über die sogenannte »Schurre« hin, bei welcher Gelegenheit man den eigentlichen Roßtrappe-Felsen, also die Hauptsehenswürdigkeit der Gegend, mit in Augenschein nehmen wollte.
»Werden auch deine Nerven ausreichen?« fragte der Oberst, »oder nehmen wir lieber einen Tragstuhl? Der Weg bis zur Roßtrappe mag gehen. Aber hinterher die Schurre? Der Abstieg ist etwas steil und fährt in Kreuz und Rücken, oder um mich wissenschaftlicher auszudrücken, in
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