Chronik eines angekuendigten Todes
erschienen unter vielen anderen auch die Brüder Vicario, sie tranken mit uns und sangen mit Santiago Nasar, fünf Stunden bevor sie ihn töteten. Vermutlich glühten noch verstreut einige Funkenherde des eigentlichen Festes, denn von überallher trug der Wind uns das Echo von Musik und fernen Streitereien zu,die immer matter klangen, bis schließlich die Sirene des Bischofsschiffs aufheulte.
Pura Vicario erzählte meiner Mutter, sie habe sich um elf Uhr nachts zu Bett gelegt, nachdem die älteren Töchter ihr geholfen hatten, etwas von den Verwüstungen des Hochzeitsfestes zu beseitigen. Gegen zehn Uhr, als noch einige Betrunkene im Innenhof sangen, hatte Ángela Vicario wegen eines Köfferchens mit persönlichen Gegenständen, verwahrt im Kleiderschrank ihres Schlafzimmers, zu ihr geschickt, und Pura Vicario hatte dem Boten noch eine Tasche mit Tageswäsche mitgeben wollen, doch der hatte es eilig gehabt. Sie hatte tief geschlafen, als an die Tür geklopft wurde. »Es waren drei leichte Schläge«, erzählte sie meiner Mutter, »aber sie klangen seltsam nach schlechten Nachrichten.« Sie erzählte, sie habe, um niemanden zu wecken, die Haustür geöffnet, ohne das Licht anzumachen, und da stand Bayardo San Román im Schein der Straßenlaterne im aufgeknöpften Seidenhemd und seiner von Gummihosenträgern festgehaltenen modischen Hose. »Er hatte die grüne Farbe der Träume«, sagte Pura Vicario zu meiner Mutter. Ángela Vicario stand im Dunkeln, so dass sie die Tochter erst sah, als Bayardo San Román sie am Arm packte und ins Licht zog. Das Seidenkleid hing in Fetzen, und sie war bis zur Taille in ein Badetuch gewickelt. Pura Vicario glaubte, sie seien mit dem Wagen den Abhang hinuntergestürzt und unten tot liegengeblieben.
»Heilige Maria, Mutter Gottes«, rief sie entsetzt. »Sprecht, wenn ihr noch von dieser Welt seid.«
Bayardo San Román trat nicht ein, sondern schob,ohne ein Wort zu sagen, seine Frau sanft ins Innere des Hauses. Dann küsste er Pura Vicario auf die Wange und sprach in tiefer Mutlosigkeit, aber mit großer Zärtlichkeit in der Stimme zu ihr.
»Dank für alles, Mutter«, sagte er. »Sie sind eine Heilige.«
Nur Pura Vicario wusste, was sie in den nachfolgenden zwei Stunden tat, und ging mit ihrem Geheimnis in den Tod. »Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass sie mich mit der einen Hand an den Haaren gepackt hatte und mit der anderen so wütend zuschlug, dass ich glaubte, sie bringt mich um«, erzählte mir Ángela Vicario. Aber das alles tat die Mutter so leise, dass ihr Mann und die älteren Töchter, die in den anderen Zimmern schliefen, nichts davon mitbekamen, bis zum Tagesanbruch, als das Verhängnis sich bereits erfüllt hatte.
Die Zwillinge, von ihrer Mutter eilends herbeigerufen, kehrten kurz vor drei Uhr heim. Ángela Vicario lag bäuchlings auf dem Esszimmersofa, das Gesicht von Schlägen zerschunden, aber sie hatte aufgehört zu weinen. »Die Angst war vergangen«, sagte sie zu mir. »Im Gegenteil: Ich hatte das Gefühl, ich hätte endlich den Albtraum des Todes abgeschüttelt, und wünschte nur, alles möge rasch zu Ende gehen, damit ich mich ins Bett legen und schlafen konnte.«
Pedro Vicario, der Entschlossenere der Brüder, riss sie hoch und setzte sie an den Esszimmertisch.
»Los, Mädchen«, sagte er, zitternd vor Wut, »sag uns, wer es war.«
Sie brauchte kaum länger als notwendig, um den Namen auszusprechen. Sie suchte ihn in der Finsternis,fand ihn auf den ersten Blick unter den vielen, vielen verwechselbaren Namen dieser und der anderen Welt und nagelte ihn mit sicherem Pfeil an die Wand, wie einen willenlosen Falter, dessen Todesurteil von jeher feststand.
»Santiago Nasar«, sagte sie.
Kapitel 3
Der Anwalt plädierte auf Totschlag in legitimer Verteidigung der Ehre, was von den Geschworenen zugelassen wurde, und die Zwillinge erklärten am Schluss der Gerichtsverhandlung, sie würden es aus den gleichen Gründen tausendmal wieder tun. Sie selber hatten das Rechtsmittel der Verteidigung schon erahnt, als sie sich wenige Minuten nach dem Verbrechen vor ihrer Kirche ergaben. Keuchend drangen sie ins Pfarrhaus ein, verfolgt von einer Horde erhitzter Araber, und legten die Messer mit blanker Klinge auf Pater Amadors Tisch. Beide waren von der barbarischen Todesarbeit erschöpft. Kleider und Ärmel waren von Schweiß und noch warmem Blut getränkt, die Gesichter besudelt, aber der Pfarrer erinnerte sich an die Übergabe als an einen Akt von großer
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