Chroniken der Dunkelheit - 02 - Kristallschwert
hatte. Vor ihnen dagegen war überhaupt kein Himmel zu sehen, nur eine steil ansteigende grauweiße Eisfläche und der Felskamm.
Je höher sie kamen, desto glatter wurde der Boden, über den sie gingen, und Adrian, inzwischen an das raue Eis weiter unten gewöhnt, begann wieder zu rutschen.
Cathbar hatte ihn schon einige Male mit der Hand stützen müssen. Mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Scham sah er zu dem Hauptmann hinüber, der unverdrossen neben ihm herstapfte. Weder Cathbar noch Fritha schienen müde zu sein. Seine eigenen Beine zitterten schon vor Erschöpfung, doch zwang er sich weiterzugehen – für Müdigkeit war jetzt keine Zeit. Elsa schwebte in Gefahr und war vielleicht schon in Taragors Höhle – und sie marschierten immer noch hoch über ihr einen Hang entlang. Hoffentlich konnten sie hinunterfliegen!
Und wenn du diesen Drachen nicht rufen kannst?, fragte ein Stimme in seinem Kopf aufsässig. Er hörte nicht darauf. Ich finde ihn und rufe ihn, nahm er sich fest vor. Das klappt. Es muss klappen.
»Wir sind da«, sagte Fritha.
Sie war zusammen mit Cathbar vorausgegangen. Der Kamm, dem sie gefolgt waren, wurde flacher und sie standen auf einem kleinen ebenen Platz an der Bergflanke. Adrian beeilte sich, die beiden einzuholen, und stellte dabei fest, dass das Eis auf beiden Seiten in einem Dutzend Schritte Entfernung hinter bläulichen, wie mit dem Messer gezogenen Kanten senkrecht abfiel. Der Platz bildete eine Art einsamer Insel in einem Meer von Luft.
Fritha und Cathbar sahen ihm erwartungsvoll entgegen. Ich bin dran, dachte er und versuchte nicht an den Knoten in seinem Magen zu denken. »Wo ist die Drachenhöhle?«, fragte er Fritha – im nächsten Augenblick bemerkte er ihr unglückliches Gesicht.
»Das weiß niemand!«, stammelte sie. »Ich sagte ja, niemand hat die Drachen gesehen, zumindest soweit sich die Ältesten unter uns erinnern können. In den Liedern und Geschichten heißt es immer nur, sie seien an dieser Stelle ins Eis zurückgekehrt, aber niemand hat hier je eine Höhle gefunden. Kannst du sie nicht von hier aus rufen? Vielleicht antwortet ja einer.«
»Natürlich, versuchen kann ich es«, sagte Adrian schnell. Fritha schien der Panik nahe und er spürte, wie ihre Angst ihn ansteckte. Nein, sagte er entschieden, setzte sich auf das Eis, schloss die Augen und begann zu suchen.
Cathbars Augen waren auf den Berg vor ihnen gerichtet, auf dem das Eis nacktem Fels wich. Fritha blickte ängstlich auf ihn hinunter. Sehe ich wirklich so mickrig aus? Er hockte in seine Felle eingewickelt mit gesenktem Kopf auf dem Boden und glich mehr einem Bettler als einem Drachenbeschwörer. Er straffte sich und ließ seinen Blick schweifen … doch er sah nichts.
Er zog noch weitere Kreise. Ein Raubvogel, der fast auf der Höhe der Gipfel flog, hatte den Blick auf eine mit grauen Flechten bewachsene Stelle an der Bergflanke gerichtet … Ein mausähnliches Geschöpf verharrte reglos in einer Felsspalte und blickte zum Himmel auf. Insekten suchten die Vertiefungen des grauen Steins mit ihren Facettenaugen ab. Doch nirgends gab es ein großes, mächtiges Geschöpf.
Er spürte, wie die anderen beiden beklommen neben ihm warteten. In seiner Verzweiflung blickte er nach unten, zum Fuß des Berges. Dort entdeckte er etwas Größeres, Wildes, das zwischen vereisten Felsbrocken hindurchschlüpfte – Wölfe! Weißes Fell leuchtete auf – wie das Fell der Wölfe, deren Augen er im Wald benutzt hatte. Was hatten sie hier zu suchen? Doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken … Er suchte weiter, drang in den Fels unter seinen Füßen ein. Nichts, nur dunkle Nacht. Dann ein leichter Druck von … etwas … vielleicht war es Eolande, die ihn aussperren wollte? Oder Elsa, deren Augen er wegen des Schwertes nicht benutzen konnte? Nein, da war etwas anderes, Unbekanntes. Einen kurzen Moment lang sah er rote Flammen, rot geschmolzenes Gestein, Eisen, das im Feuer aufblitzte …
Dann auf einmal ein greller Lichtblitz, gleißendes Licht, das seinen Kopf zu sprengen drohte. Lachen … Dann schlug etwas zu wie ein steinerner Deckel über einem Brunnen, und er lag auf dem Rücken auf dem kleinen Platz und starrte in den tiefblauen Himmel, als könne er in ihn hineinfallen.
Cathbar und Fritha beugten sich über ihn und sagten etwas, doch konnte er zunächst weder etwas verstehen noch selbst sprechen. Fritha kniete neben ihm nieder und versuchte mit besorgter Miene, seinen Kopf mit ihrem Arm zu stützen.
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