Coco - Ausbildung zur 0
Worten, kämpfte sie darum, dass die Strukturen ihres Lebens in den Bahnen liefen, die sie geschaffen hatte. Und Xavier in ihrem Bett oder gar mehr hätte einen Umweg bedeutet, der zu viele gefährliche Kurven beinhaltete. Um seines Seelenfriedens willen – und um ernsthaften körperlichen Verletzungen aus dem Weg zu gehen oder gar der Gefahr, sie zu verlieren – hatte er es aufgegeben, sich andere Frauen gesucht und vergnügt. Nichts Ernstes, wie er zu betonen pflegte, aber er wäre schließlich auch nur ein Mann.
Doch im Stillen hatte er sich ihr verschworen. Seiner Coco. Sie teilte seine Leidenschaft für die Kunst. Aber war er dabei derjenige, der seiner Leidenschaft die Gelegenheit gab, über sein Leben zu bestimmen, war Coco die stille Genießerin. Es machte sie glücklich, einen alten Meister stundenlang anzusehen. Ihr Geist vollführte Freudensprünge, wenn sie für die Galerie ein berühmtes Gemälde ergattern konnte und es in diesen lichtdurchfluteten Hallen ausstellen durfte. Denn die Galerie lag auf dem Montmartre in einem mittlerweile durch Grundstücksspekulationen vollkommen überteuerten Straßenzug. Das ehemalige Lagerhaus – zweistöckig – mit direktem Blick auf Sacré-Cœur, deren Dächer golden im Abendrot strahlten. Vor Jahren, als Xavier hier begonnen hatte, ein Schnäppchen in wundervoller Lage. Trat man vor die Tür der Galerie, konnte man den herrlichen Blick über ganz Paris genießen. Sah man sich vor seinen Füßen um, dann spürte man den Geist der Kunst, der hier seit Jahrhunderten durch die mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Gassen schwebte.
Xavier mochte die Mischung aus Touristen, die sich an heißen Sommertagen schwitzend und laut lachend durch die Gassen schoben, und den Künstlern, die ihre massenhaft gefertigten Bilder an kleinen Ständen feilboten und ihren Kunden mit dieser gelangweilten Arroganz eines Kreativen im Blick das Geld aus den Taschen zogen. Kunst war das sicher nicht, was dort angeboten wurde. Aber es war eine Kunst, wie diese Künstler sich dabei schlugen, ihr tägliches Brot damit zu verdienen. Die Maler, die mal eben das Dorf Montmartre aus ihrem Pinsel fließen ließen. Die Karikaturisten, die die Gesichter der Touristen auf lächerliche Art verzerrten, und die so Gescholtenen sogar noch dazu brachten, ihre Geldbörsen dafür zu öffnen.
Manchmal fand Xavier unter diesen Arbeitern an der Kunst ein echtes Juwel. Er glaubte daran, dass hier oben nicht nur Geld gescheffelt wurde. Nein. Für Xavier war es eine Lebensaufgabe, den Künstler, das absolute Talent zu finden und zu fördern. Und er hatte Erfolg damit. Wer konnte sich da noch mit so lächerlichem Kleinzeug wie Miete oder Tickets fürs Falschparken kümmern? Dafür gab es schließlich Coco. Doch auch hier war sie mehr: Coco hatte das nötige Fingerspitzengefühl für die Klassiker in seiner Galerie. Sie sorgte dafür, dass er mit den alten Meistern das Geld verdiente, das er mit seinen jungen und unbekannten Künstlern mit vollen Händen ausgab. Coco hatte über die frühen Jahre eines deutschen Malers promoviert, und gleichzeitig war sie als Partnerin in die Galerie eingetreten. In ihrem Verständnis ihrer Zusammenarbeit war sie allerdings immer seine Assistentin geblieben. Er war der Star und sollte dies auch bleiben. Ihre Dissertation war auf viel Interesse in der Fachwelt gestoßen, und ihr Name auf dem Türschild neben dem seinen war so etwas wie der Garant für Seriosität. Auch hier waren sie wie Feuer und Wasser: Xavier, der verrückte und geniale Galerist auf der einen Seite, und Coco, die fachliche Kompetenz auf der anderen.
Aber dieser Titel vor ihrem Namen stand auch für etwas, das ihn traurig und nachdenklich machte. Coco schien nur die Pflicht zu kennen. Der einzige Luxus in ihrem Leben war ihre ehemalige Dienstbotenwohnung, die sie hatte umbauen lassen. Sie kaufte keinen teuren Schmuck; ihre Kleidung war ihrer Position angemessen, aber nicht unbezahlbar; sie leistete sich keine Liebschaften, und wie es schien, gönnte sie sich nicht einmal ein Glas Wein außer der Reihe. Sie war das Pflichtbewusstsein in Person.
Xavier dachte daran, wie sie manchmal neben ihm stand. Während er die Installation eines Künstlers vorbereitete. Wenn sie dann mit ihrem – obligatorischen – Klemmbrett vor ihrem perfekten Busen, den Kopf seitlich neigte, ihre feuerrote Haarpracht dabei ihr schmales, aristokratisch blasses Gesicht umrahmte. In diesen Momenten, wenn sie ihm dabei zusah und das Werk
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