Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coq 11

Coq 11

Titel: Coq 11 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillou
Vom Netzwerk:
Hand hoch.
    »Das habe ich mir gedacht«, fuhr der Imam fort. »Ihr sollt die lieben, die euch nicht aus Palästina vertrieben haben. Das steht da. Und ihr sollt diejenigen lieben, die uns nicht aufgrund unseres Glaubens bekämpfen. Die Jugendlichen aus Leeds ha­ben eine schwere Sünde begangen. Wie viele von den zweiund­fünfzig Londonern, die sterben mussten, haben uns denn aus unserer Heimat vertrieben und unseren Glauben bekämpft? Drei? Möglicherweise zehn? Und die anderen?«
    »Sind Sie auch Palästinenser, Abu Ghassan?« Ibra versuchte Zeit zu gewinnen.
    »Ja, ich bin Palästinenser. Ich habe zehn Jahre in einem israelischen Gefängnis gesessen, übrigens mit keiner anderen Lektü­re als dem Koran. Daher meine Kleidung und die Narben. Aber ihr sollt meiner Frage nicht ausweichen«, antwortete der Imam schnell. »Wie viele von diesen Londonern haben laut Gottes Wort den Tod verdient?«
    »So, wie Sie die Frage stellen, rein theoretisch, niemand?
    Aber gegen wen soll sich der Ohnmächtige wehren?«, fragte Ibra.
    »Man nennt dich Ibra, aber du heißt doch Ibrahim, oder? Bedenke, dass du nach einem großen Propheten und geistigen Führer benannt wurdest.«
    »Sollen wir uns denn nicht wehren?«
    »Doch, das sollen wir manchmal. Wenn es gerechtfertigt ist. Aber nicht so wie am 7. Juli. Schlagt jetzt die neunundzwanzigste Sure, Vers neunundsechzig auf!«
    Ibrahim tat, was ihm gesagt worden war, machte aber ein enttäuschtes Gesicht. Er war in Gottes Haus gekommen, um ein tröstendes Wort zu hören, das ihn zu Taten ermunterte, aber jetzt schien das Ganze in eine vollkommen andere Richtung zu laufen, fast wie im Christentum. Er fand jedoch schnell den Vers und las ihn deutlich besser vor, als es Marwan gelungen war.
    Und diejenigen, die für uns eiferten, wahrlich, leiten wollen Wir sie auf Unsern Wegen; siehe, Allah ist wahrlich mit denen, die recht handeln.
    Der Imam saß eine Weile schweigend da.
    »Liebe Brüder, ich kann das Feuer verstehen, das in euren Herzen brennt. Ich spüre es selbst. Ihr wollt für unsere Sache kämpfen, und das ist gut und richtig. Aber bei euren sicherlich ganz besonderen Begabungen wäre es nicht nur eine Dummheit, sondern eine Sünde, U-Bahnen in die Luft zu sprengen. Gott könnte euch nicht so leicht vergeben wie den Gymnasiasten aus Leeds, das glaube ich euch in aller Demut garantieren zu können. Ihr beide müsst unbedingt auf den Augenblick warten, in dem Gott euch zu etwas Großem beruft.«
    »Aber wann tut er es?«, fragte Marwan.
    »Vielleicht morgen, vielleicht nie, was weiß ich?«, gab der Imam amüsiert zurück. »Gott hat euch beiden große intellektuelle Gaben verliehen, und deshalb seid ihr es ihm schuldig, diese Gaben zu benutzen. Geht nun und denkt über meine Worte nach. Wenn ihr in meinem Namen oder dem der Palästinenser, der Iraker oder meinetwegen aller Muslime Rache üben wollt, braucht ihr nicht zurückzukommen. Kommt wieder, wenn ihr davon überzeugt seid, dass ich euch helfen kann, Allah und somit den rechten Weg zu der Tat zu finden, zu der Er gerade euch berufen will.«
    Sie standen auf und verbeugten sich, und der Imam kritzelte noch einen Koranvers auf ein Stück Papier, 2:218, der ihm auf ihr Ansinnen zu passen schien.
    Siehe sie, die da glauben und auswandern und streiten in Allahs Weg, sie mögen hoffen auf Allahs Barmherzigkeit, denn Allah ist verzeihend und barmherzig.
    Der Koran ist wirklich eine wunderbare Schrift, dachte der Imam, als er den grübelnden und leicht bedrückten jungen Männern hinterherblickte, die auf der Suche nach einem Grund zu kämpfen mit so brennendem Geist in das Haus Gottes gekommen waren. Wenn man den Koran auswendig gelernt hatte, konnte man für alles einen Beweis finden.
    Er war sich ziemlich sicher, dass er sie nun für eine größere göttliche Tat gewinnen konnte, als die beiden sich je vorgestellt hatten. Die Operation verlief nach Plan.
     
    Lewis MacGregor kam pünktlich auf die Minute mit dem Taxi an, als Mouna das Hotel verließ. Sie stieg in den Wagen, noch bevor er ihr die Tür hatte öffnen können. Sie begrüßte ihn knapp, klopfte bedeutungsvoll auf das grün schimmernde Panzerglas des falschen Taxis und lehnte sich zurück.
    »Die Firma hält es für praktisch, bei gewissen Fahrten die anonymsten Wagen Londons zu benutzen«, erklärte er.
    »Ausgezeichnet, ich nehme also an, der Fahrer ist einer von uns«, ohne den Fahrer oder MacGregor eines Blickes zu würdi­gen. Ihre Angespanntheit verwunderte ihn.

Weitere Kostenlose Bücher