Coq 11
geheiratet hatte, von der man Dinge berichten konnte, die in einem Gotteshaus unpassend waren, war ihm die Sprache nicht mehr über die Lippen gekommen.
Er wusste – rein praktisch – nicht, wie man betete, wann man aufstehen und wann man vornübergebeugt in der demütigen Haltung knien sollte, die die Engländer so gern in abscheulichen Karikaturen ins Lächerliche zogen.
Und dennoch: Das hier war der einzige Ort in London, wo er augenblicklich Frieden fand, wenn er mit wirren Haaren und wild klopfendem Herzen angestürmt kam, in der festen Überzeugung sofort zurückschlagen zu müssen.
In keinem anderen Zusammenhang hatte das Wort Frieden für ihn eine Bedeutung. Draußen benutzte er es höchstens ironisch.
Hier drinnen waren seine Gedanken klar und rein, und das konnte nur an Gottes Anwesenheit liegen. Eine Erkenntnis die vollkommen neu für ihn war. In der Kapelle seines alten Internats hatte er mit Sicherheit Tausende von Gottesdiensten an all den christlichen Feiertagen abgesessen, ohne sich unter Gott jemals etwas anderes als einen Teil dessen vorstellen zu können, was man gute Erziehung nannte. In Cambridge war es genauso gewesen. Gott war, wenn man so wollte, eine noch frische Bekanntschaft.
Er war absichtlich eine halbe Stunde vor dem Treffen gekommen, um ein wenig dasitzen und seine Gedanken ordnen zu können. Die neue Bekanntschaft verwirrte ihn, auch das musste er zugeben. Aber wenn er daran zurückdachte, wie er vor 9/11 gewesen war, konnte er seinen damaligen Zustand ebenfalls nur als wirr bezeichnen.
Wut und Hass hatten ihn in das Gotteshaus getrieben, und das war, wenn man es so aufrichtig und ohne Beschönigung ausdrückte, vollkommen unangemessen.
Er hoffte, dass auch Ibra vor dem vereinbarten Zeitpunkt eintreffen würde, denn für ihn war es das erste Mal.
Es sei nicht schwer, zur Moschee zu gehen. Man könne einfach hineingehen, hatte er seinem etwas misstrauischen Freund erklärt, der offenbar Wächter, Ausweiskontrollen, Metalldetektoren, Überwachungskameras und all die anderen Dinge vermutete, die mittlerweile das tägliche Leben prägten. Man müsse nur über den weiß gepflasterten Hof spazieren, seine Schuhe in den Regalen abstellen, hineingehen und sich setzen. Niemand würde Fragen stellen, niemand würde sich wundern.
Wie erwartet sah Ibra misstrauisch und eingeschüchtert aus, als er sich durch den Haupteingang zwängte – so, als hätte er ein schlechtes Gewissen, weil er überhaupt hier eindrang, oder noch schlimmer, weil er daran zweifelte, dass er das Recht dazu hatte. Er schien erleichtert, als er seinen Freund entdeckte.
»Hey, Marw, was ist los?«, begrüßte ihn Ibra mit flatternden Lidern und ließ seinen Blick über ein paar kleine Gruppen von Männern wandern, die sich an den Wänden flüsternd unterhielten. Einige hatten auf Buchstützen aus Holz einen aufgeschlagenen Koran vor sich.
»Man könnte fast sagen, Frieden, Bruder«, antwortete Marw. »Gut, dass du nicht zu spät gekommen bist. Dieser Imam, von dem ich dir erzählt habe, Abu Ghassan, kommt immer pünktlich auf die Minute.«
Sie saßen eine Weile bemüht schweigend da. Auch Ibra schien von Frieden erfüllt, seitdem er die Moschee betreten hatte. All ihre heißen Diskussionen bei der Arbeit und all ihre Gedanken über die Notwendigkeit, etwas Großes zu machen, wurden von der Stille hier drinnen gedämpft.
Der Imam kam wirklich auf die Sekunde genau. Er war in ihrem Alter, ziemlich groß und hatte einen durchtrainierten Körper, als ginge er wie jeder andere ins Fitnessstudio. Allerdings hatte er Narben im Gesicht, die erschreckend ausgesehen hätten, wenn seine Augen nicht gewesen wären. Mehr noch als seine religiöse Tracht ließ sein milder und humorvoller Blick ihn als denjenigen erscheinen, der er war.
Marw konnte seine englischen Reflexe, all das, was der Feind ihm ins Gehirn gepflanzt hatte, nicht unterdrücken und stellte die beiden Männer einander in der richtigen Reihenfolge vor.
Sie setzten sich an die Wand, und der Imam stellte den Koran, den er unter dem Arm getragen hatte, auf eine Buchstütze. Dann forderte er sie auf, still dafür zu beten, dass Gott ihr Gespräch leiten möge. Ohne besonderen Aufwand oder bestimmte Gebärden, sollten sie einfach ihre Handflächen mit ausgestreckten Armen nach oben halten.
Beide gaben sich aufrichtig Mühe.
Dann kam er direkt zur Sache und stellte ihnen einige Fragen, die wenig Raum für Ausflüchte ließen. Suchten sie Gott, weil
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