Cotton Malone 05 - Der Korse
Collins.«
»Was wollen Sie?«
»Henrik Thorvaldsen steckt in Schwierigkeiten.«
»Gibt es sonst noch etwas Neues?«
»Es kommen Leute, um ihn zu töten.«
»Was für Leute?«
»Wir müssen zu Thorvaldsen fahren.«
Malone hielt die Pistole noch immer auf den Mann gerichtet und hatte den Finger am Abzug. Wenn Sam Collins auch nur zuckte, würde er ihn abknallen. Aber er hatte das Gefühl, die Art Gefühl, die ein Agent durch hart erkämpfte Erfahrung erwarb, dass der junge Mann ihn nicht belog.
»Was für Leute?«, fragte er erneut.
»Wir müssen zu ihm fahren.«
Malone hörte unten Glas zerbrechen.
»Da ist noch etwas«, sagte Sam Collins. »Diese Leute. Sie sind auch hinter mir her.«
2
Bastia, Korsika
01.05 Uhr
Graham Ashby stand oberhalb des ruhigen Hafens und sah sich bewundernd um. Rings um ihn her waren altersschiefe, pastellfarbene Häuser wie Kisten zwischen Kirchen aufgestapelt, überschattet von dem schlichten Steinturm, der zur Zeit sein Aussichtspunkt war. Seine Yacht, die Archimedes, lag einen halben Kilometer entfernt im Vieux Port vor Anker. Er bewunderte ihre schlanke, beleuchtete Silhouette vor dem silbrigen Wasser. Die zweite Nacht des Winters ließ einen kühlen, trockenen Wind aus Norden durch Bastia wehen. Eine feiertägliche Stille lag schwer in der Luft. Weihnachten war nur noch zwei Tage entfernt, aber das war ihm völlig gleichgültig.
Terra Nova, einst Bastias Militär- und Verwaltungszentrum, war inzwischen zu einem Viertel für Wohlhabende geworden. Schicke Wohnungen und trendige Läden säumten ein Labyrinth von Kopfsteinpflastergassen. Vor ein paar Jahren hätte er beinahe in den Boom investiert, hatte sich dann aber dagegen entschieden. Insbesondere in Küstennähe brachten Immobilien nicht mehr denselben Gewinn wie früher.
Er blickte Richtung Nordosten auf die Jetée du Dragon, einen künstlichen Kai, der noch vor ein paar Jahrzehnten nicht existiert hatte. Um den zu bauen, hatten die Ingenieure einen riesigen löwenförmigen Felsen, Leone genannt, wegsprengen müssen, der einmal den Hafen blockiert hatte und in vielen Stichen aus der Zeit vor dem zwanzigsten Jahrhundert zu sehen gewesen war. Als die Archimedes vor zwei Stunden in das geschützte Hafenbecken eingelaufen war, hatte er rasch den unbeleuchteten Bergfried entdeckt – im vierzehnten Jahrhundert von dem Genueser Statthalter der Insel erbaut – und jetzt stand er dort und fragte sich, ob heute die entscheidende Nacht sein würde.
Er hoffte es.
Korsika gehörte nicht zu seinen Lieblingsorten. Die Insel war einfach nur ein aus dem Meer aufragender Gebirgszug, hundertdreiundachtzig Kilometer lang und dreiundachtzig Kilometer breit, sie hatte eine Fläche von achttausendsiebenhundert Quadratkilometern und eine tausend Kilometer lange Küste. Geografisch fand man dort eine Vielfalt aus hochgebirgsartigen Gipfeln, tiefen Schluchten, Pinienwäldern, Gletscherseen, Weiden, fruchtbaren Tälern und sogar wüstenartigen Gebieten. Zu verschiedenen Zeiten war die Insel von Griechen, Karthagern, Römern, Aragonern, Italienern, Briten und den Franzosen erobert worden, aber ihren rebellischen Geist hatte keiner der Eroberer unterwerfen können.
Das war noch ein Grund, weshalb er hier nicht hatte investieren wollen. In diesem widerspenstigen französischen département gab es viel zu viele Unwägbarkeiten.
Die emsigen Genuesen hatten Bastia 1380 gegründet und es mit Festungen geschützt. Der Turm, auf dem er stand, war einer der letzten Überreste davon. Die Stadt war bis 1791 Hauptstadt der Insel gewesen, doch dann hatte Napoleon entschieden, dass sein Geburtsort, das südlicher gelegene Ajaccio, dazu besser geeignet wäre. Ashby wusste, dass die Einheimischen dem klein gewachsenen Kaiser diesen Übergriff noch immer nicht verziehen hatten.
Er knöpfte seinen Armani-Mantel zu und trat dicht an eine mittelalterliche Brustwehr. Mit seinen achtundfünfzig Jahren fühlte er sich in seiner maßgeschneiderten Kleidung, Hemd, Hose und Pullover, wohl. Er kaufte seine ganze Ausstattung im Kingston & Knight, genau wie vor ihm sein Vater und sein Großvater. Gestern hatte ein Londoner Friseur seine graue Mähne geschnitten und die weißen Strähnen weggenommen, die ihn älter wirken ließen. Er war stolz darauf, dass er noch das Aussehen und die Vitalität eines jüngeren Mannes besaß, und während er weiter über das dunkle Bastia aufs Tyrrhenische Meer schaute, genoss er die Befriedigung eines Mannes, der wirklich arriviert
Weitere Kostenlose Bücher