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Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen

Titel: Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taras Prochasko
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daran, wie ich krank im Bett lag und leise ein Lied über die sowjetische Armee sang, das ich im Kindergarten gelernt hatte, in den ich gerade einmal seit einer Woche ging; Großmutter bat mich, das Lied nie wieder zu singen, selbst wenn ich noch so krank sei. Ich erinnere mich daran, wie es Großmutter manchmal ohne Arbeit nicht aushielt und nachts Geschirr spülte. Ich erinnere mich, daß sie manchen Besuchern mit Fürsorglichkeit und anderen mit einer gewissen Schroffheit begegnete; jeden Tag kamen Leute zu ihr. Ich erinnere mich daran, wie verrückt mein Bruder und ich, ein paar Stunden bevor sie in einem der Zimmer starb, in einem anderen herumtobten und schrieen, wie wir verängstigt zu ihr hineingingen, wie die Stille war, wie das Wetter war, wie wir verstummten …
    Es geht auch nicht darum, woran ich mich aus späteren Jahren erinnere: Fotografien, Dokumente, Erzählungen von Mutter und anderen Leuten, die sie kannten … Irgendwann beschäftige ich mich genauer mit all dem und schreibe eine dokumentarische Biographie über sie.
    Es geht nicht um Großmutters Geschichte, die so sehr Teil meiner eigenen geworden ist, daß Zitate daraus in manchen Träumen schwer von Fragmenten eigener Erlebnisse zu unterscheiden sind.
    Es geht nicht einmal um Erfahrungen: Großmutter besuchte eine deutsche Volksschule, ein polnisches Gymnasium, in Lemberg begann sie Medizin zu studieren, sie war in Gmünd, lernte dort meinen Großvater kennen, er schenkte ihr englische und russische Bücher, sie war Offizier der UHA, war sehr lange dabei, sie erhielt ein paar Auszeichnungen vom Roten Kreuz, setzte ihr Studium in Wien fort, heiratete in der St.-Barbara-Kirche denjenigen, den sie seinerzeit in Gmünd kennengelernt hatte, sie brachte ein Kind zur Welt, kehrte nach Stanislau zurück. Großmutter spezialisierte sich auf Augenheilkunde, der einzige ukrainische Augenarzt in Stanislau aber bat sie, ihm keine Konkurrenz zu machen. Sie ging wieder nach Wien und ließ sich zur Hals-Nasen-Ohrenärztin ausbilden. Danach kehrte sie mit ihrer Familie nach Stanislau zurück. Praktizierte. Behandelte. Alle, die auch nur ein einziges Mal in ihrer Sprechstunde waren, vertrauten ihr. Die dankbaren Patienten schenkten ihr Araukarien. Mit fünfundvierzig brachte sie noch ein Kind zur Welt, meine Mutter. Dies erwies sich als Gottes Gnade, denn ein paar Jahre später starb das ältere Kind, ohne das sie sich ihr Leben nicht mehr vorstellen konnte. Großmutter arbeitete sehr lange, auch noch im Pensionsalter.
    Ich erinnere mich außerdem, daß sie uns beibrachte, unsere Kleidung am Abend so zusammenzulegen, daß wir in der Nacht innerhalb weniger Minuten bereit wären. Sogar in vollkommener Dunkelheit. Eine Wand in unserem Keller war von oben bis unten mit den Daten der Bombenangriffe beschriftet, ebenso war es mit der letzten Seite von Großmutters Gebetsbuch, auf der die Liste der Verstorbenen, für deren Seele man beten mußte, immer länger wurde. Es geht nicht um irgendwelche Gegenstände, Reliquien und Erinnerungsstücke aus dem Alltag.
    Denn Großmutter erwies sich als bedeutend großzügiger, wenn es um das geht, was man Erbe nennt.
    Großmutter hat mir diese Stadt geschenkt. Wohin ich auch gehe, augenblicklich umgibt mich die Wärme ihres Bereits-dagewesen-Seins. Das Haus, in dem sie geboren wurde, ist jetzt eine Zweigstelle des Kunstmuseums. Die Schule, die sie besuchte, befindet sich neben dem Markt, auf dem ich einkaufe, ihr ehemaliges Gymnasium gegenüber meiner ehemaligen Schule. Das Haus, in dem sie sich niederließ, steht in dem Viertel, in dem ich mein ganzes bisheriges Leben verbracht habe. Und so weiter. Von den Straßen, durch die sie ging, ganz zu schweigen.
    Dasselbe gilt für Lemberg. Wenn auch nicht mit dieser Intensität.
    Schade, daß ich noch nie in Wien gewesen bin. Sie hat dort viele Jahre gelebt. Und ich weiß, daß ich mich nicht fremd fühlen werde, wenn ich einmal dorthin komme. Irgend etwas werde ich erkennen, irgendwo werde ich eine gewisse Wärme empfinden. Das ist das Erbe, das ich angetreten habe.
     
    9
     
    Manchmal kann ich morgens nicht einmal in Ruhe Kaffee trinken.
    Ich setze mich auf die Stufen. Ich setze mich auf die Stufen vor meinem Häuschen in den Bergen, um morgens Kaffee zu trinken. Und manchmal habe ich keine Ruhe dafür. Vielleicht ist es das Alter, vielleicht eine Besonderheit meiner Natur, denn das, was ich sehe, entspricht nicht genau dem, was ich sehe. Ich sitze auf den Stufen und sehe mehr,

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