Dark Room
gegrüßt«, sagen sie dann oder manchmal auch: »Er hat doch immer seinen Müll getrennt.« Genauso war es auch mit ihrer Tante. Sie war eine normale, resolute, ältere Frau.
»Ein Unfall«, wiederholte Lorina, »ich wollte ihr nur die Haare abschneiden, wie man das früher mit Verräterinnen gemacht hat, im Krieg, weißt du? Den Flittchen wurden die Köpfe geschoren. Es wäre nachgewachsen, und sie sollte ja auch gar nichts mitkriegen. Ich hab noch einen Schlüssel von drüben, fürs Blumengießen, der Alte wusste davon gar nichts, ich wollte sie betäuben, sie sollte bloß einen Schreck kriegen, wenn sie aufwacht. Aber dann ist mit der Dosierung etwas schiefgegangen, es war zu viel Belladonna. Ich bin eine alte kranke Frau, meine Augen machen nicht mehr so mit, das weißt du.«
»Vor allem dein Gehirn macht nicht mehr mit. Du bist eine Perverse, du bist grauenhaft.« Fiona fing wieder an zu weinen.
»Du warst ja nicht ganz unschuldig daran.« Lorina sah sie streng an. »Wochenlang erzählst du mir, wie sehr du leidest, dass sie nichts mehr von dir wissen will, du redest über nichts anderes, du rennst draußen nachts halb nackt rum und trinkst, nimmst Drogen und was weiß ich noch, da musste ich doch einschreiten. Jemand musste Evi einen Denkzettel verpassen, wenn sie mein kleines Mädchen so leiden lässt.«
Fionas Stimme klang abgehackt und schneidend, sie machte hinter jedem Wort eine kurze Pause: »Ich – bin – nicht – dein – kleines – Mädchen.«
Fiona fühlte sich ganz leer und wünschte, sie wäre nie hergekommen. Gleichzeitig wusste sie, dass es noch nicht vorbei war. Sie schnäuzte sich und versuchte, möglichst gefasst weiterzusprechen.
»Du wolltest also ihr Haar abschneiden, um sie zu bestrafen, und als du sie betäubt hast, ist etwas schiefgegangen, und sie ist gestorben.«
Lorina nickte und zuckte mit den Schultern. Es kostete Fiona alle Beherrschung, um nicht wieder aufzuspringen und auf Lorina einzuschlagen. Gleichzeitig war sie so allein wie nie zuvor. Das Gefühl nach blauen kalten Fliesen unter ihren Füßen stieg in ihr hoch. Sie verdrängte es, schob alles weg und konzentrierte sich auf diese Wohnung und diese Zeit.
»Wieso musstest du sie auch noch verstümmeln? Du hast ihr Gesicht entstellt. Du hast wie ein irrer Serienkiller herumgemetzelt. Das ist krank, Tante Lorina, das ist so krank, ich könnte kotzen. Das war keine Kurzschlussreaktion, so was macht man nicht spontan, du hattest Werkzeug dabei, du trägst diese Nadel und die Haare mit dir herum wie einen Fetisch, du wusstest genau, was da passierte. Und hast nicht aufgehört.«
Die alte Frau knetete ihre Hände. »Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es schwer aufzuhören«, sagte sie, als würde das irgendetwas erklären.
Fiona begriff, dass sie hier nicht weiterkam. Vielleicht war Lorina doch verrückt, und man konnte ihr Verhalten nicht erklären und auch selbst nicht verstehen.
»Was ist mit dem anderen Mann, der dabei war«, fragte Fiona also, »und dem Prediger?«
Lorina sah sie nur ausdruckslos an, und gerade als Fiona ihre Frage wiederholen wollte, läutete es Sturm. Gleichzeitig klingelte Fionas Handy.
»Mach auf!«, hörte sie Püppi durch das Telefon rufen, und sie stürzte zur Tür und öffnete. Obwohl sie eigentlich böse auf ihn sein wollte, war sie froh, dass er hier war, jemand, der zwar seine Geheimnisse hatte, bei dem sie aber wenigstens sicher sein konnte, keinen geisteskranken Mörder vor sich zu haben. Sie fielen sich in die Arme, und Fiona schluchzte an seiner Brust.
»Alles wird gut, meine Eule«, flüsterte er und streichelte ihr Haar, dann schob er sie von sich fort und schüttelte sie leicht, bis sie ihn ansah. »Bist du allein mit ihr? Ist sonst jemand da?«
Fiona schüttelte den Kopf. »Nur wir. Aber sie hat irgendwem gesimst, dass ich Bescheid weiß und hier bin.« Püppi griff ihre Hand und zerrte sie zur Tür. »Wir müssen sofort verschwinden!«
Fiona wehrte sich. »Ich bin noch nicht fertig. Ich will erst wissen …«
Püppi schnitt ihr das Wort ab. »Du musst schnell weg! Vertrau mir. Wir klären das später.«
Fiona riss sich los und sprang zu Lorinas Sessel.
»Er hat recht, meine Kleine«, hustete Lorina und tätschelte ihre Hand, »frag nicht weiter, es ist vorbei, lass das alles ruhen und geh mit ihm. Du bist hier nicht sicher. Es werden furchtbare Dinge geschehen, wenn du weiter herumstocherst. Du bist doch mein kleines, hübsches Vögelchen.«
Püppi stand am Fenster und
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