Darkover 25 - Der Sohn des Verraeters
»Ich wünschte, ich wäre auch tot«, stöhnte das Mädchen.
»Das tust du nicht!«, sagte Herm streng. »Und deine Tante würde auch nicht wollen, dass du tot bist – sie wollte, dass du gut aufgehoben bist, mein Kind.« »Ich … kann nicht glauben, dass sie tot ist. Jetzt bin ich ganz allein … was soll nur aus mir werden?« »Dir wird nichts geschehen«, sagte Rafaella fast zärtlich zu dem Mädchen. »Komm jetzt mit.« Illona zögerte, doch schließlich ließ sie sich von der Entsagenden wegführen.
Es wurde kälter, und Domenic bedauerte, dass er seinen Umhang nicht mehr hatte. Er wäre dem Mädchen und Rafaella gern in die Wärme des Gasthofs gefolgt. Stattdessen ergriff sein Pflichtgefühl von ihm Besitz – dem er eigentlich hatte entfliehen wollen – und er marschierte zielstrebig in den Hof zurück. Das Feuer strahlte eine große Hitze ab, und es war unnatürlich warm. Wo man hinsah, herrschte Zerstörung. Domenic musste Herm den alten Gardesoldaten vorstellen, die dabei halfen, die Brände zu löschen und die Toten und Verwundeten wegzutragen.
Dennoch war die Szenerie im Innenhof nicht ganz so chaotisch, wie er befürchtet hatte. Die meisten Feuer begannen mangels Nahrung langsam auszugehen. Ein fürchterlicher Geruch lag in der Luft, nach verbranntem Holz, Farbe und wahrscheinlich auch Fleisch. In den Wagen waren Menschen gewesen, als sie in Flammen aufgingen, und nicht alle konnten entkommen. Es drehte Domenic den Magen um.
Dann erblickte er Duncan Lindir und ging zu ihm. Der Mann war sehr blass im verbleibenden Licht. »Wie viele Tote habt ihr gefunden?« »Sechs Leute vom Fahrenden Volk, Vai Dom, und einen Mann aus der Stadt. Es könnten noch mehr in den Trümmern liegen, man kann sie noch nicht wegräumen, wegen der Hitze, aber ich hoffe es nicht. Dann gibt es eine ganze Reihe Verwundeter, aber die genaue Zahl weiß ich noch nicht.
Hauptsächlich gebrochene Arme und Kopfverletzungen. Die Heilerin der Entsagenden kümmert sich zusammen mit einer Heilerin aus der Stadt um sie.« »Sehr gut, Duncan. Das ist Herm Aldaran.« Duncan deutete eine knappe Verbeugung an, als würde er einem Aldaran nur widerwillig Respekt zollen. »Ich habe Anweisung, nach Euren Befehlen zu fragen, aber ich hatte bisher nicht die Gelegenheit dazu, Dom .« Sein Tonfall war kaum noch höflich zu nennen, als müsste er sich zwingen, die Worte auszusprechen, ohne zu meinen, was er sagte.
»Sei’s drum, ich habe sowieso keine«, antwortete Herm, der so tat, als hätte er die leichte Unhöflichkeit des Mannes nicht bemerkt. »Ich würde gern den Rest von euch kennen lernen.« »Na ja, sie sind ziemlich …« »Ich meine natürlich nicht sofort, Mann! Ich sehe doch auch, dass sie sehr beschäftigt sind. Zeig einfach auf sie und nenn mir ihre Namen … wenn du so freundlich sein könntest.« Die Ironie der Antwort entging Lindir nicht, und er verzog den Mund zu einer Art Lächeln. Dann nickte er, und Domenic fühlte, wie die kaum unterdrückte Feindseligkeit des alten Gardesoldaten zu schwinden begann. Er beobachtete die beiden Männer, die nun leiser sprachen, und fragte sich, wie sein Onkel das anstellte. Es war die gleiche Geschichte wie am Nachmittag mit Loret. Aber jetzt versuchte Herm nicht charmant zu sein, sondern er war geschäftig und unpersönlich.
Falls es ein Laran für Überzeugungskraft gab, dann besaß es Herm offenbar. Domenic ging unruhig und nervös weiter. Wo waren Vancof und der andere Mann geblieben? Waren sie bei dem Tumult verwundet oder gar getötet worden?
Er ging zu der Stelle, an der er den Terraner zuletzt gesehen hatte, ein stockdunkler Winkel, wo die Ställe an die Mauer des Gasthofs stießen. Dort stand eine niedrige Bank, auf der die Pferdeknechte und Stallburschen auf Reisende warteten oder sich von ihrer Arbeit ausruhten; man konnte die Bank nur als einen tieferen Schatten an der Wand des Gasthofs ausmachen.
Domenic blieb einen Augenblick stehen, bis sich seine Augen an die fast vollkommene Dunkelheit gewöhnt hatten, und dann sah er den Stiefel.
Er ging in die Hocke und spähte unter die Bank. Das Leder des Stiefels hatte früher einmal geglänzt, aber nun war es abgestoßen und ein bisschen schmutzig. In dem Stiefel steckte ein Bein, und als Domenic besser sehen konnte, erkannte er, dass er auf die Leiche des namenlosen Mannes blickte. Er regte sich kein bisschen, auch die Brust hob und senkte sich nicht. Der Junge schluckte mehrere Male heftig, dann schloss er die Hände um den
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