Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
denen die Weltenscheibe stockte, sich Dinge offenbarten, die den Lauf der Sterne ändern konnten.
Zokora hatte mir einmal erklärt, dass sie nicht wahrhaftig unsere Sprache sprach, sondern einen Zauber, einen Segen nutzte, den sie von Solante erhalten hatte. Offenbar galt er nicht nur für unsere Sprache, denn ein jeder hier schien ihre Worte verstanden zu haben.
Es war der Schamane, der die Stille brach.
»Legenden gibt es viele«, sagte er leise, während er in seine Schale blickte, als könne er dort weiterhin mehr sehen als nur die Dämpfe des bitteren Tees. »In unserer Überlieferung stritt die Sonne mit der Nacht um die Gunst des Mondes, und als die Göttin verstand, dass die Brüder um sie im Streit lagen, weinte sie Tränen … die größte von ihnen folgt ihr noch immer, die anderen fielen auf unsere Welt herab, und fügt man sie zusammen, erhält man die Krone der Vergessenen, die dem Träger offenbart, was war, was ist und was sein wird.« Seine blinden Augen suchten mich. »Dieser Ring aus Jade hat viele Namen. Manche nennen ihn auch die Krone der Hoffnung. Sie ist es, die du suchst, Ha’vald.«
Ich sah mich um, sah die Gesichter derer, die uns gebannt lauschten, Gesichter, die ich trotz des Feuerscheins und der Fackeln meist nur ahnen konnte … und dann wieder zu dem Schamanen hin, der mich mit blinden Augen zu mustern schien. Was auch immer ich erwartet hatte, als wir den Steinkreis verlassen hatten, das war es nicht.
»Wieso vertraut Ihr mir das an?«, fragte ich leise und erwartete fast schon, dass er sagen würde, dass die Geister es ihm aufgetragen hätten. Doch es war nicht er, der mir die Antwort gab. Es war Mahea, die nun aus der Dunkelheit trat, um sich zwischen dem Schamanen und Ma’tar zu uns ans Feuer zu gesellen.
»Ich habe für Euch gesprochen, Lanzengeneral«, sagte sie, als sie sich mit gekreuzten Beinen setzte. Ihre Stimme klang rau, und sie schluckte, als ich unverständig starrte.
»Ihr seid eine Spionin der Kor?«, fragte ich ungläubig.
»Nein«, widersprach Ma’tar entschieden. »Das ist sie nicht. Niemand von uns wird einen Eid leichtfertig brechen. Wir haben Spione in euren Lagern, aber sie gehört nicht dazu.«
»Selbst wenn«, sagte Mahea bitter, »könntet Ihr mir schwerlich einen Vorwurf daraus machen. Ich habe es Euch erzählt, es waren die Blutreiter, die das Lager meines Stammes überfielen, meinen Vater erschlugen und den Kopf meiner Mutter gegen Silber eintauschten.« Sie ballte ihre Fäuste, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. »Am Anfang richtete sich mein Hass nicht nur gegen sie, sondern auch jeden, der dem Kaiserreich folgte. Es war mein Bruder«, sie nickte zu Ma’tar hin, der still am Feuer saß, »der mir erklärte, dass es die Blutreiter waren, die kaiserliches Gesetz brachen, als sie uns überfielen. Es war Großvater, der mich bat, den kaiserlichen Legionen beizutreten, denn er sagt, dass wir die sieben Reiche nicht besiegen können. Er sagt, dass wir nur frei leben können, wenn wir uns dem Drachen beugen.«
»Nur dass ich nicht verstand, wie es sein soll, dass man frei ist, wenn man sich beugt«, nahm der Schamane das Wort wieder auf. »Um das zu verstehen, bat ich die Tochter meines Sohnes, sich den Legionen anzuschließen.« Er erlaubte sich ein leichtes Lächeln. »Doch auch das löste das Rätsel nicht für mich, und ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, bis du in unser Lager gekommen bist, um die Gefangenen auszulösen. Doch nun verstehe ich, was es mir sagte, verstehe, dass die Freiheit unterschiedliche Bedeutung haben kann. Dass das Joch der Kaiserin leichter zu tragen ist als das des dunklen Herrschers, der unsere Stämme in den Untergang führen will.«
»Du sagst, etwas habe dir das Rätsel aufgetragen. Wovon sprichst du, alter Mann?«, fragte Zokora sanft.
»Davon«, antwortete der Schamane und öffnete den Beutel, den er an einem Lederriemen um den Hals trug. Er ließ den Inhalt in seine Hand fallen und zeigte uns ein Stück Jade. Es war schmal und gebogen, Teil eines Stirnreifs, und selbst jetzt, nach all der Zeit, schien der Schein des Feuers in den Runen auf dem Stück einen Widerschein zu finden. »Es sprach nur einmal zu mir, als ich noch ein Kind war und es in einem alten Flussbett fand.«
»Wie sprach es?«, fragte Zokora, während sie wie gebannt auf das Stück Jade starrte, das der Beweis für die Legende war. »Was hat es dir gesagt?«
»Ich hörte eine weibliche Stimme«, sagte der Schamane leise,
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