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Das Dunkle Muster

Das Dunkle Muster

Titel: Das Dunkle Muster Kostenlos Bücher Online Lesen
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verschluckt. Jetzt lag er behaglich ausgestreckt auf dem Teppich, fühlte sich glücklich und… Nein, auch das Gefühl löste sich auf. Er war draußen, im Hintergärtchen, nackt, zitternd vor Kälte und der Angst, ohne einen Faden am Leib von jemandem erwischt zu werden, der ihm keine Gelegenheit gab, seinen momentanen Zustand zu erklären. Er warf Kieselsteine gegen das Fenster und hoffte, daß sie seinen Bruder aufmerksam machten, ohne die im darunterliegenden Stockwerk schlafenden kleineren Geschwister aus dem Schlaf zu reißen.
    Das Haus war ursprünglich eine aus einem Klassenraum bestehende Landschule gewesen und hatte einst außerhalb von Peoria gelegen. Aber die Ortschaft war gewachsen, es waren überall rundum Häuser aus dem Boden geschossen, und jetzt lag die Stadtgrenze eine halbe Meile weiter nördlich. Man hatte die Schule mit einem zweiten Stockwerk versehen und sie im Zuge der Stadtvergrößerung auch an die Kanalisation angeschlossen. Es war das erstemal, daß Peter in einem Haus lebte, das über eine Innentoilette verfügte. Vorher hatten sie in einem Farmhaus in der Nähe der Ortschaft Mexico im Staat Missouri gelebt: er, seine Eltern, ein jüngerer Bruder und die Familie des Bauern, die den Frigates zwei Zimmer vermietet hatten.
    Sein Vater war Elektriker (er hatte ein Jahr lang das Rose Polytechnic Institute von Terre Haute in Indiana besucht und besaß ein Diplom des Internationalen Fernlehrinstituts) und hatte dort ein Jahr lang in einem Elektrizitätswerk gearbeitet. Peter hatte dort den ersten Schock seines Lebens erfahren, als er mitansah, wie ein Hahn eine Maus verspeiste, die er in einer Falle in seinem Zimmer gefangen und auf den Hinterhof geworfen hatte. Viel schlimmer noch war die Erkenntnis gewesen, daß er Hühner aß, ja daß die Welt auf der Basis von Kannibalismus existierte.
    Das war nicht richtig, dachte er. Ein Kannibale ist ein Geschöpf, das sich von anderen seiner eigenen Art ernährt. Er wälzte sich herum und glitt in den Schlaf zurück. Ihm wurde nur schwach bewußt, daß er sich zwischen den einzelnen Traumsequenzen in einem halbwachen Zustand befand, über das eben Geträumte nachdachte, um dann den Faden wieder aufzunehmen. Er hatte diesen Traum schon oft gehabt. Manchmal sogar mehrere Male in einer Nacht. Hin und wieder kam es vor, daß Jahre dazwischenlagen, bevor er zu dem gleichen Traum zurückfand.
    Die Traumserien erinnerten ihn daran, daß es ihm in seinem schriftstellerischen Schaffen stets ähnlich ergangen war. Einmal hatte er an einundzwanzig Serien von Erzählungen gleichzeitig geschrieben. Zehn davon hatte er abgeschlossen, aber die anderen warteten darauf, daß er sich weiter mit ihnen auseinander setzte. Jede davon hatte das typische Fortsetzungs-Ende, aber der allmächtige Herausgeber, der zwischen den Sternen wohnte, hatte ihnen ein unerwartetes Ende ohne Fortsetzung bereitet.
    Wie im Leben, so im Tod. Er würde niemals – niemals? –, nun, höchstens unter sehr schwierigen Umständen eine davon zu Ende bringen. Das große Unvollendete. Er war sich erst darüber klargeworden, als er seine Qualen und Befürchtungen einem Mann anvertraut hatte, der neben seinem Job als Psychologiedozent die Aufgabe übernommen hatte, die Neulinge am College zu betreuen.
    Dieser Professor – wie hatte er geheißen? O’Brien? Ein kleiner, schlanker junger Mann mit der Tendenz zu feuriger Begeisterung und mit feuerrotem Haar, der stets eine Krawatte getragen hatte.
    Und jetzt marschierte Peter Jairus Frigate wieder durch den Nebel, in dem es kein Geräusch zu hören gab außer dem weit entfernten Schrei einer Eule. Ein Motor brüllte plötzlich auf, dann glitten die bleichen Finger zweier Scheinwerfer auf ihn zu, wurden heller, und die Reifen kreischten mit der gleichen Lautstärke auf wie seine Stimmbänder. Er warf sich zur Seite, suchte im Nebel Zuflucht, tauchte unter in der weichen Umhüllung und sah den schwarzen Körper des sich jetzt langsamer auf ihn zubewegenden Automobils. Während er durch den Nebel dahinschwebte und mit den Armen ruderte, wandte er den Kopf und sah den Wagen genauer an. Hinter dem Licht der Scheinwerfer erkannte er einen Duesenberg, eines jener langen und klassischen Modelle, das er irgendwann in einem Film mit Cary Grant – Topper – gesehen hatte. Hinter dem Lenkrad saß eine formlose Masse, deren einzig erkennbare Gesichtszüge aus Augen bestanden. Sie waren hellblau, wie die seiner deutschen Großmutter Wilhelmine Kaiser, die die

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